Wurfnetz und Tränengas

Ungarn setzt auf verschärfte Asylgesetze

  • Hanna Ongjerth, Budapest
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit einer Verschärfung der Asylgesetze, die Militäreinsätze und Transitzonen an der serbisch-ungarischen Grenze gestatten, will Ungarn künftig gegen Flüchtlinge vorgehen.

»Wir müssen uns die Frage stellen: Wollen wir, dass unsere Enkelkinder im ›Vereinten Kalifat Europas‹ leben?«, beschwor Antal Rogán, Fraktionschef der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz, seine Vision in einem Interview für die am Dienstag erstmals erschienene regierungsnahe Tageszeitung »Magyar Idők«. Man könnte annehmen, dass der Politiker einfach mal seinen ruppigen Humor glänzen lassen wollte.

Doch in der Flüchtlingsfrage liegt die Bereitschaft zu konstruktiven Lösungsvorschläge der ungarischen Regierung fern: Änderungen des Asylgesetzes sollen ab Mitte September dafür sorgen, dass Flüchtlingen in Ungarn neue rechtliche Hindernisse im Wege stehen.

Der illegale Grenzübertritt würde laut der Gesetzesverschärfung nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat gelten. Daher hält es die Regierung für nötig, den Einsatzbereich des Militärs zu erweitern und dessen Zusammenarbeit mit der Polizei zu ermöglichen.

Die Einbringer des Gesetzentwurfs möchten den Begriff »Notstand wegen massenhafter Einwanderung« einführen. Wenn zum Beispiel die Anzahl der Asylbewerber über 500 pro Tag steigt werden Soldaten zur Erfüllung grenzpolizeilicher Aufgaben eingesetzt. Es wird ihnen gesetzlich gestattet, Konfliktsituationen mit Zwangsmitteln, Gummigeschossen, Tränengasspray, Wurfnetz und verschiedenen Arten pyrotechnischer Munition zu lösen.

Ein weiterer Absatz der geplanten Gesetzesänderung soll zudem die Befugnisse der Polizei erweitern: Sie dürfte ohne amtlichen Beschluss Privatwohnungen betreten, wenn »der Verdacht besteht, dass sich in der Wohnung illegale Einwanderer aufhalten«.

Nicht nur das Land, sondern auch der von der serbisch-ungarischen Grenze zehn Meter entfernt laufende Stacheldrahtzaun soll beschützt werden. Wer ihn erklimmt, riskiert eine Gefängnisstrafe von einem bis zu drei Jahren. Die Beschädigung des Zauns kann maximal fünf Jahre Haft nach sich ziehen.

Um ganz sicher zu gehen, werden an der südlichen Grenze Transitzonen eingerichtet. Sie sollen verhindern, dass Migranten ins Land hineinkommen. An diesen Stationen müssen sie abwarten, bis ihr Asylantrag im Laufe eines beschleunigten Verfahrens bearbeitet wird.

Es sind bereits zwei Monate vergangen, dass die ersten Zaunpfähle aufgestellt worden sind. Was alternative Lösungsvorschläge angeht, erwies sich keine Oppositionspartei tatkräftiger und einfallsreicher als die rechtsextreme Jobbik. Deren Abgeordnete reichten zahlreiche Vorschläge für die Änderung des Asylgesetzes und der Verfassung ein.

Die sozialistische MSZP kritisiert den Bau des Grenzzauns und den Einsatz des Militärs. Die PM (Dialog für Ungarn) nannte die geplante Gesetzesverschärfung in einem offenen Brief verfassungswidrig. Mit der Einführung einer Flüchtlingsquote wäre sie allerdings einverstanden.

Das Engagement, das den politischen Kräften fehlt, zeigt sich hingegen in der Zivilgesellschaft. Die Mitarbeiter des Roten Kreuzes und der Organisation »Migration Aid« haben bisher Zehntausende Flüchtlinge versorgt. Mehrere Ärzte praktizieren nach ihrer täglichen Arbeitszeit freiwillig an den Budapester Bahnhöfen. Denn an Patienten fehlt es nicht. Dafür umso mehr an staatlicher Unterstützung.

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