Irrglaube an Wunder des Marktes
Rückblick auf 25 Jahre Arbeitsmarktpolitik im Land Brandenburg
Arbeit ist inzwischen reichlich vorhanden in Brandenburg, das Problem ist nur, dass es im gewerblichen Bereich wenig Lohn dafür gibt. Gemeinsam mit Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hat am Montag Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) »25 Jahre Arbeitsmarktpolitik im Land Brandenburg« Revue passieren lassen.
In seiner Heimatstadt Forst habe auf den Höhepunkt eine Arbeitslosigkeit von 50 Prozent geherrscht, sagte Woidke. Es sei mit den Händen zu greifen gewesen, wie das Gemeinwesen darunter litt, und man musste »mit Depression und Hoffnungslosigkeit« umgehen, erinnerte Woidke. Gemeinsam mit der »unvergessenen Arbeitsministerin Regine Hildebrandt« habe Manfred Stolpe damals Mut gemacht und die richtigen Entscheidungen getroffen. Vieles habe man einige Jahre später natürlich auch anders sehen können, in den Grundzügen habe Stolpe aber das Notwenige getan. Dazu zählte Woidke den Kampf um die Bewahrung eines Teils der industriellen Kerne wie Ludwigsfelde, Eisenhüttenstadt, Schwarzheide, Schwedt und Hennigsdorf. Es sei falsch, die wirtschaftliche Erholung allein auf das Geld zurückzuführen, das aus dem Westen geflossen sei, sagte Woidke. Vielmehr haben Tatkraft und Flexibilität der Brandenburger den Ausschlag gegeben. 80 Prozent der Leute mussten demnach mindestens einen neuen Beruf erlernen, viele von ihnen auch zwei oder drei neue Berufe.
Stolpe berichtete, dass seinerzeit die Bundesregierung an die »Wunder des Marktes« geglaubt habe und dass ihm der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blühm (CDU) leichtfertig versichert habe, »in sechs Monaten haben alle Entlassenen wieder Arbeit«. Von diesem Trugschluss seien damals »viele infiziert« gewesen. Stolpe bezeichnete es als das Anliegen der damaligen Landesregierung, dass »die Sieger der friedlichen Revolution nicht die Verlierer der deutschen Einheit werden«. Beim vergeblichen Versuch, Frankfurt (Oder) als industriellen Standort zu erhalten, sei er »über den Tisch gezogen« worden, sagte Stolpe. Wenn damals jemand gesagt hätte, dass im Jahr 2015 Fachkräftemangel ein Problem sein werde, hätte er ungläubiges Kopfschütteln hervorgerufen, zeigte sich Stolpe überzeugt.
Aber ist der starke Rückgang der Arbeitslosenquote nicht auch darauf zurückzuführen, dass gegenwärtig viel mehr Brandenburger in Rente gehen als Schulabgänger nachkommen? Ministerpräsident Woidke wehrte sich gegen diese Sichtweise. Deutlich gestiegen sei die Zahl versicherungspflichtig Beschäftigter, betonte er.
Sozialministerin Diana Golze (LINKE) fügte aber hinzu, der enorme Rückgang der Arbeitslosigkeit auf unter neun Prozent hänge auch mit den vielen Teilzeitbeschäftigungen gerade für Frauen zusammen. Noch immer seien in Brandenburg 48 000 Menschen langzeitarbeitslos. Diese Menschen benötigen nach Einschätzung von Golze auf Dauer Förderung. Die Ministerin sprach auch von der »seltsamen Situation«, dass es im Lande freie Lehrstellen gebe und Schulabgänger, die keinen Lehrvertrag in der Tasche haben.
25 Jahre nach dem Fall der Mauer habe Brandenburg in der Arbeitsproduktivität 80 Prozent vom Westniveau erreicht, in den vergangenen zehn Jahren sei die Wirtschaftskraft um jährlich ein Prozent gewachsen, bestätigte Wirtschaftsminister Abrecht Gerber (SPD). Auf die Frage, ob das viel sei angesichts des bedeutenden Fördermitteleinsatzes, sagte Gerber, die Summe der Fördermittel gehe deutlich zurück.
Unterstützt wurde er vom einstigen Direktor des Instituts für Arbeitsmarktforschung Friedrich Buttler. Gemessen an den Ausgangsbedingungen könne man den Zuwachs eine stabile Entwicklung und »ganz gut« nennen. Sehen müsse man dies vor dem Hintergrund der Überalterung der Gesellschaft, der Abwanderung und der Zerschlagung der Industriestruktur der Vorwende sehen.
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