Franziskus ruft zum Dialog auf
Soziale Ungleichheit und Solidarität mit den Armen sind Schwerpunkte der Südamerika-Reise des Papstes
Schon Stunden vorher haben sie sich einen Platz vor der Ständigen Vertretung des Vatikans gesichert, mit Sonnenschirm und Kruzifix ausgeharrt, um ihren Papst zu begrüßen, den ersten Pontifex aus Lateinamerika. Tausende Gläubige haben Franziskus am Sonntag (Ortszeit) begeistert zugewinkt, als er im Papamobil durch die Straßen der ecuadorianischen Hauptstadt Quito fuhr - bis zu seiner Unterkunft, der Vertretung des Vatikans.
Nicht nur aus allen Teilen Ecuadors waren die Katholiken angereist, sondern auch aus den Nachbarländern. Natalia Rodríguez aus Venezuela hat sich zusammen mit ihrer Freundin extra Urlaub genommen. »Es sind gerade Schulferien. Das müssen wir ausnutzen. Es ist ja deutlich näher, hierher zu reisen, als nach Europa«, sagte sie und zeigte sich gleichzeitig enttäuscht, dass der Papst so schnell vorbeigefahren sei.
Zum Auftakt seiner Reise war Franziskus am Sonntagnachmittag in Ecuador gelandet. »Ich danke Gott, dass er mir erlaubt hat, wieder nach Lateinamerika zu kommen«, sagte der gebürtige Argentinier am Flughafen. Er wurde von Staatspräsident Rafael Correa empfangen. In seiner Begrüßungsrede forderte Franziskus eine bessere Zukunft für alle, insbesondere für Minderheiten und die Schwächsten der Gesellschaft. Er mahnte einen »Dialog und eine Partizipation ohne Ausgrenzung an«, was ecuadorianische Medien als Appell für ihr Land interpretierten.
Ecuador befindet sich in einer unruhigen Phase. Tausende Menschen haben in den vergangenen Wochen gegen die Regierung protestiert. Auslöser war eine geplante Steuerreform, die bislang auf Eis liegt. Doch der Unmut sitzt deutlich tiefer. Vor allem die Staatsführung von Präsident Rafael Correa ist in der Kritik. Auch am Sonntagnachmittag waren in den Straßen Quitos Rufe nach einer Absetzung des 52-Jährigen zu hören. Anhänger der Opposition haben in sozialen Netzwerken zu Protestaktionen bei den Freiluftmessen am Montag in der Hafenstadt Guayaquil und am Dienstag in Quito aufgerufen. Die ecuadorianische Bischofskonferenz hatte im Vorfeld der Reise mehrmals einen friedlichen Dialog angemahnt. Franziskus »kann unser Land beruhigen, Frieden bringen«, ist eine Gläubige aus Quito überzeugt.
Soziale Ungleichheit und Solidarität mit den Armen und Benachteiligten der Gesellschaft sind Schwerpunkte der zweiten Lateinamerika-Reise des Pontifex, die ihn ab Mittwoch auch nach Bolivien und Paraguay führt. Franziskus besucht ein Altenheim in Ecuador, ein Kinderkrankenhaus in Paraguay und in Bolivien das berüchtigte Gefängnis Palmasola in Santa Cruz - eine Hüttenstadt, umgeben von Mauern und Stacheldraht, in der mehr als 5000 Häftlinge laut Vatikan unter unwürdigen Bedingungen leben. Viele von ihnen sind nicht einmal verurteilt.
Mit Ecuador, Bolivien und Paraguay hat Franziskus drei Länder ausgewählt, die nicht nur laut Bevölkerungszahlen zu den kleinsten Südamerikas gehören. Sie stehen auch wirtschaftlich und politisch im Schatten der großen Staaten wie Brasilien, Argentinien und Kolumbien. Bolivien gilt trotz des Wirtschaftsaufschwungs, der seit einigen Jahren anhält, noch immer als das Armenhaus Südamerikas. Laut Weltbank leben dort 45 Prozent der Bevölkerung in Armut. Gut zwei Drittel der Bevölkerung haben indianische Wurzeln. Paraguay ist vor allem durch den Gegensatz zwischen Großgrundbesitzern und Kleinbauern geprägt.
In Quito fiebern die Gläubigen bereits der Freiluftmesse am Dienstag entgegen. Auf dem Gelände des alten Flughafens im Norden der Stadt werden knapp zwei Millionen Menschen erwartet.
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