Das zerstörte Biotop

Nur im Wesen ein großer Verein: Der SC Freiburg beklagt einen abartigen Abstieg

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem 1:2 in Hannover stand Freiburgs Abstieg fest. Freiburgs Trainer Christian Streich hatte es schon vor Saisonbeginn geahnt: Fremdfinanzierte Gebilde bedrohen die badische Nische

An Bord des ICE 273 von Kiel nach Basel, der praktischerweise auf seiner Nord-Süd-Route unter anderem Halts in Hannover wie Freiburg vorsieht, ist das Zugrestaurant am Samstagabend völlig überfüllt gewesen. Das passiert, wenn Fußballfans in größerer Zahl auf Reisen gehen. Aber selten hat sich eine solch seltsame Mixtur aus Trotz und Trauer vereint wie auf dieser Fahrt. Unter Hunderten von Anhängern des SC Freiburg musste die Enttäuschung und das Entsetzen ob der unerwarteten Rückversetzung in die Zweitklassigkeit nach sechs Erstligajahren verarbeitet werden. »Ein Zweitligaspiel dauert auch 90 Minuten«, erklärten die einen. »In Heidenheim waren wir noch nie«, ergänzten die anderen. Dann zogen sie beim Ausstieg zur Raucherpause an den Unterwegs-Bahnhöfen tief an ihren Zigaretten.

Arrangieren mit der Realität, »mit einem abartig bitteren Abstieg«, wie Sportdirektor Jochen Saier nach dem 1:2 bei Hannover 96 angemerkt hatte. Der 37-Jährige wandelte mit leichenblassem Gesicht durch die Arena am Maschsee, wo ausgerechnet Hannovers gefeierter Retter-Trainer Michael Frontzeck anmerkte, er sei traurig darüber, »was mit Freiburg passiert ist«. Viele fühlen ähnlich, weil ausgerechnet der Ausbildungsbetrieb in der badischen Nische von der Erstliga-Landkarte verschwindet. Aber hatte es Christian Streich nicht kommen sehen? Beim Trainerkongress in Mannheim hatte der leidenschaftliche Lehrmeister vor Saisonstart über das »gefährdete Biotop« referiert, wenn in der Bundesliga immer mehr fremdfinanzierte Gebilde sich breit machen würden. Nun ist genau das passiert: Ingolstadt statt Freiburg.

Klar, diese Klaviatur wollte Streich in der bittersten Stunde seiner Amtszeit nicht mehr bespielen, weil es zu sehr nach Jammern geklungen hätte, aber er ahnt, dass der Sportclub sich womöglich wie zwischen 2005 und 2009 erneut länger im Unterhaus abstrampeln muss. Als der Überzeugungstäter nach der Pressekonferenz von »schlimmen Wochen« berichtete, die »nach einer total grotesken Saison« nun bevorständen, schossen ihm Tränen in die Augen. Schluchzend suchte der 49-Jährige das Weite. Wie hatte er zuvor fatalistisch festgestellt? »Wir haben keine Leute, die bei uns Millionen reinschütten.« Zwar habe sich der Verein »etwas unters Kopfkissen« gelegt, wie Präsident Fritz Keller beteuert. Und »selbstverständlich« wolle man »eine optimale Mannschaft für die zweite Liga zusammenstellen, um schnell wieder aufzusteigen.« Der am letzten Spieltag gar nicht berücksichtigte Kapitän Julian Schuster versicherte: »Der Klub hat sich so entwickelt, dass er mit seinen Strukturen in die Bundesliga gehört.«

Doch die Entscheider Keller, Saier und Streich, die in vertrauter Geschlossenheit weitermachen wollen, wissen: Im Breisgau kündigt sich zwangsläufig ein Umbruch an. Keeper Roman Bürki war am Samstag tränenüberströmt vom Feld gekommen und erst am Sonntag, als die Profis ihre Sportsachen in blaue Müllsäcke verfrachtet hatten, wieder in der Lage, ein Statement abzugeben. »Wenn es eine Stadt nicht verdient hat, dann ist es Freiburg«, meinte der Schweizer Goalie, der im Moment davon ausgeht, »dass ich mit dem SC Freiburg ins Training starte.« Bürki dürfte indes wie der aus Bremen ausgeliehene Torjäger Nils Petersen, Mittelfeldmann Vladimir Darida, Flügelflitzer Jonathan Schmid oder Stürmer Admir Mehmedi zu den Verkaufskandidaten zählen, die trotz gültiger Verträge teilweise Ausstiegsklauseln besitzen. »Es wird Veränderungen geben, die braucht es auch«, meinte Saier noch.

Der zum Wiederaufbau entschlossene Streich (»Ich habe dem Verein so viel zu verdanken«) gilt im Breisgau ebenso als unantastbar wie das längst beschlossene Stadionprojekt. Der Fußballlehrer glaubt, dass »mit dieser Mannschaft viel möglich gewesen wäre, sie war talentiert.« Der verschossene Elfmeter auf Schalke, das Last-Minute-Gegentor in Hamburg - das waren auf der Zielgeraden die entscheidenden Genickschläge.

Die Strafe ist empfindlich, denn allein das Fernsehgeld schmilzt um fast 17 Millionen Euro, der Personaletat schrumpft um zehn Millionen. Es steht wieder mühevolle Sisyphusarbeit an der Schwarzwaldstraße an. Der Trainer gab mit einigem Pathos dieses Versprechen ab: »Wir sind ein kleiner Verein, aber ein großer Verein im Wesen. Wir werden zurückkommen.« Doch der Heulkrampf, der ihn anschließend überkam, verriet, wie viel zu Pfingsten 2015 verspielt wurde.

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