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Schock für Polens Establishment

Herausforderer Duda geht als Sieger des ersten Wahlganges gegen Präsident Komorowski in die Stichwahl

  • Julian Bartosz , Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einem Stechen um das polnische Präsidentenamt war vor dem Wahlsonntag allgemein gerechnet worden, nicht aber mit dem nationalkonservativen Duda als neuem Favoriten.

Allen sonstigen Überraschungen zum Trotz erwiesen sich beim ersten Durchgang der Staatspräsidentenwahl am vergangenen Sonntag erneut die Nichtwähler mit 48,8 Prozent als die stärkste der Parteien. Von 30 Millionen zur Teilnahme an der freiheitlichen Demokratie Berechtigten, blieben damit mehr als die Hälfte zu Hause. Das war nichts weniger als ein starkes Signal einer gesellschaftlichen Missstimmung in der nun schon 26-jährigen Geschichte der III. Republik.

Die in ihr wirtschaftlich und politisch Etablierten erlitten am Wahlabend einen Schock. Der liberalkonservative Amtsinhaber Bronislaw Komorowski von der »Bürgerplattform« (BO) quittierte über eine »ernste Warnung an das Regierungslager«. Er erhielt nur 33,1 Prozent der Stimmen, und damit 1,4 Prozent weniger als sein Herausforderer. Das waren zwar auf Nachwahlbefragungen und Hochrechnungen basierende provisorische Ergebnisse, die Hoffnungen in der regierenden »Bürgerplattform« (BO), es könnte doch noch anders kommen, fußen allerdings auf unsicherem Grund.

Der Kandidat der oppositionellen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) Andrzej Duda gab sich als Bewahrer konservativer Werte und volkstümlich, er lockte mit sozialen Wohltaten für kinderreiche Familien, Arbeitsplätzen und der Absenkung des Rentenalters.

Das vorliegenden Ergebnis bestätigte allerdings die schlechtesten Voraussagen für das Abschneiden des Regierungslagers. Es bedurfte also lediglich einer tatsächlich realistischen Einschätzung der Lage im Lande. Im medialen Mainstream engagierte Journalisten mochten sie aber nicht zur Kenntnis nehmen und schönten. Zudem waren etwa zehn Prozent der Wähler Komorowskis des Jahres 2010 des geschichtlich philosophierenden »Gutmenschen« im Präsidentenpalast satt. Dagegen verhielt sich die PiS-Stammkundschaft stabil. Das Resultat hing also in der Luft.

Eine wahre Überraschung und bezeichnend sind aber zweifellos über 20 Prozent Stimmanteil für den parteilosen Rockmusiker Pawel Kukiz. Fast die Hälfte der Stimmen erhielt er von Oberschülern und Studenten. Ohne jegliche Strukturen und fremde Finanzierung, aber hart und scharf gegen »das System« stieg er im Laufe der Kampagne immer höher in der Wählergunst. Als Drittplatzierter bleibt ihm zwar die Stichwahl versagt, doch seine Wähler stehen vor einer neuen Wahl. Bedrängt von regierungstreuen Reportern wich Pawel Kukiz allerdings hartnäckig der Frage aus, welchem der verbliebenen Kandidaten er gern seine Stimmen zuschanzen würde: »Ich weiß nur, wen ich wählen werde, und das sage ich nicht. Meine Wähler sind freie Menschen mit eigenem Verstand.«

Im Stab des Demokratischen Linksbündnisses (SLD) stand Sonntagabend der Parteiführer Leszek Miller neben »seiner« Spitzenkandidatin Magdalena Ogorek mit ausdrucklosen Gesicht. 2,4 Prozent für die von ihm eigenmächtig erwählte Kandidatin - das war eine geringere Ausbeute als im schwärzesten Szenario zu erwarten gewesen war. Eine Katastrophe. Ob die etablierte Linke dies zu »verarbeiten« vermag?

Der übrige »politische Plankton«, so die polnischen Medien, sammelte für die Schubkarre, mit der acht weitere Kandidaten wohl aus der Politik hinaustransportiert werden. Deren knapp neun Prozent. können aber in der Stichwahl am 24. Mai Gewicht haben. In jedem Fall wird bis dahin das härteste politische Ringen seit 1990 vorausgesagt.

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