Kinder brauchen besondere Filme
»Winnetous Sohn« und die Initiative »Der besondere Kinderfilm« nehmen die Tradition des DEFA-Kinderfilms auf
Unsportlich, rothaarig, Brillenträger und dickleibig – Max ist auf den ersten Blick alles andere als ein Indianer. In die Welt der Apachen mit Friedenspfeifen, Lagerfeuern und Pferden taucht der Zehnjährige regelmäßig mit seinem Vater und im Indianer-Camp ein, wo er nur der »Häuptling« ist. Als bei den Karl-May-Festspielen ein begabter Darsteller für die Rolle von Winnetous Sohn gesucht wird, ist Max fest überzeugt, nur er ist der Richtige. 14 Tage hat er Zeit, um abzuspecken und seine körperliche Fitness zu trainieren.
»Winnetous« Sohn in der Regie von Andre Erkau ist einer der raren Filme aus Deutschland, die Geschichten für Kinder erzählen ohne auf einen literarischen Bestseller zurückzugreifen. Diese Filme haben es schwer an der Kinokasse. »Quatsch«,, »Sputnik« oder »Der Dolch des Batu Khan« laufen weltweit erfolgreich auf Festivals. Manch Kinderfilm bringt es auf 60 Festivalauftritte, wovon die hoch gelobte Autorenfilmer nur träumen können. Im Kino schwächeln sie – die Werbeetats sind zu gering, der Aufmerksamkeit der Medien klein. Und nicht zuletzt krankt das Preissystem. Kinobesuche en famille sind in Deutschland zu teuer.
Letzteres wird sich nicht ändern. Doch Kinderfilme ohne Phantasy-Anteil, die dafür vom Hier und Jetzt erzählen und die Kids in ihrer Lebenswirklichkeit abholen, sollen wieder in den Focus rücken. Über das Wie diskutierte die Filmbranche vor zwei Jahren. Nicht ganz uneigennützig. Denn wer soll in einigen Jahren die vielen Arthouse-Filme goutieren, wenn der Nachwuchs nur Disney und deutsche Apologeten kennt. Vorbild war dabei Skandinavien, wo die Kinderfilmszene blüht und auch der einheimische Arthouse-Film beim Publikum punktet.
Im Februar 2014 wurde die Initiative »Der besondere Kinderfilm« ins Leben gerufen. Das Ministerium von Monika Grütters, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, Produzenten, Verleiher- und Kinoverbände sowie die Filmförderer FFA, aus Hamburg-Schleswig Holstein, Berlin-Brandenburg und Mitteldeutschland sowie die Regierung des Kindermedienlands Thüringen warfen Geld in einen Topf, um jährlich zwei Kinderfilme nach Originalideen zu realisieren. Mehr als 30 Treatments wurden in der ersten Förderrunde eingereicht. Sechs Projekte wurden ausgewählt, um auf deren Grundlage Drehbücher zu erstellen.
Aus diesem Pool wurden durch das bei der Kindermedienstiftung Goldener Spatz in Erfurt angesiedelte Entscheidungsgremium »Winnetous Sohn« der Erfurter Kinderfilm GmbH als erstes Projekt ausgewählt. Die abenteuerliche Geschichte mit dem Newcomer Lorenzo Germeno, der sich im Casting gegen mehr als 100 Mitbewerber durchsetzte, und dem bereits aus »Rico, Oskar und die Tieferschatten« bekannten Tristan Göbel feierte jetzt seine Premieren in Leipzig, Erfurt, Halberstadt, Berlin, München und Lübeck.
Der Film ist präsent. Er ist gut plakatiert, zur besten Sendezeit laufen Werbespots. Auch bei den privaten Sendern. In 150 Kinos wird gestartet. Ende gut alles gut? Es gäbe noch Luft nach oben, denkt Dietmar Günsche vom Leipziger Verleih Weltkino. Das Budget für den Dreh war mit 2,5 Millionen Euro sehr knapp bemessen, auch und gerade im Vergleich mit Literaturverfilmungen wie »Bibi & Tina«, deren Produzenten sich über hohe Förderbeiträge freuen. Denn Drehs mit Kindern sind teurer. Es müssen mehr Drehtage eingeplant werden, da sie je nach Alter nur eine begrenzte Zeit am Set sein dürfen. Die Einhaltung dieser Vorschrift wird von den Landesämtern für Arbeitsschutz streng kontrolliert.
Während der Drehphase stand schon der kleiner Betrag von 5000,00 Euro für das Marketing zur Verfügung, das von Ingelore König, Chefin der Kinderfilm GmbH, vor allem für Promotion in den sozialen Netzwerken ausgegeben wurde. Für die Premiere und den Kinostart musste Günsche sich dem Wettbewerb mit anderen Verleihern stellen, ein Automatismus für die Förderung des Verleihs ist leider in der Initiative nicht vorgesehen. Die Fördersummen für den Verleih von »Winnetous« sind trotzdem im Vergleich zu anderen Filmen erheblich. Auch so genannte Medialeistungen wurden gewährt, bei denen die Sender Werbezeit zur Verfügung stehen. Doch die beantragten Summen wurden von den Förderern teils erheblich gekürzt. Außerdem stehen gesetzliche Regelungen der Eigenwerbung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern entgegen. Sie dürfen nicht unentgeldlich für die Filme zum Kinostart werben, die sie mitfinanziert haben.
Günsche ist optimistisch, der Starttermin sei gut gewählt. Doch die Konkurrenz im Kinder- und Familienkino aus Hollywood ist momentan groß. Deren Werbeetats sind ebenso wenig zu toppen wie die des deutschen Branchen-Verleih-Primus Constantin.
Weltkino wird auch Norbert Lechners »Ente gut« herausbringen, der ebenfalls von der Initiative »Der besondere Kinderfilm« profitierte. Der Verleih will sich als zuverlässiger Partner in diesem Markt-Segment etablieren.
Dass die Filme bei den Kids die verdiente Aufmerksamkeit finden, ist ihnen zu wünschen. Allerdings sind auch einige negative Effekte der Initiative nicht zu übersehen. Ein Plus in der Anzahl von Kinderfilmen nach Originalstoffen zeichnet sich nicht ab. Es wird wohl jährlich bei zwei Filmen bleiben. Im Kuratorium junger deutscher Film, einer der zuverlässigen finanziellen Unterstützer der Entstehung von Kinderfilmen, werden vorrangig auch die von der Initiative ausgewählten Stoffe gefördert. Doch viele fragen sich, was wird aus den vier Vorlagen, die nicht ausgewählt wurden.
So bleibt der Eindruck, dass vorhandene Förderstrukturen gebündelt und mit einem neuen Label versehen wurden. Um das deutsche Kino in die Zukunft zu führen und die eigenen Intentionen zu erreichen, ist das zu wenig. Es muss mindestens ein Gleichgewicht zwischen der Zahl der Literaturverfilmungen und Originalstoffen erreicht werden. Dafür werden Ideen gebraucht, vor allem ungewöhnliche wie die von Veit Helmer, dem zu viele Experten vor dem Dreh von »Quatsch« bescheinigten, das könne nicht funktionieren. Denn die Kinds sind gegenüber solchen Geschichten aufgeschlossener als die Skeptiker meinen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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