Der Frauenkörper als Produktionsmittel

Berliner Kongress widmete sich dem »Kampfbegriff« Marxismus-Feminisimus

Obwohl bereits stolze vier Jahrzehnte alt, wäre der Begriff Marxismus-Feminismus beinahe nicht in das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus (HKWM) aufgenommen worden, berichtet Katja Kipping, Vorsitzende der LINKEN. Mitglieder der Redaktion, so sei es ihr zu Ohren gekommen, hätten die Vermutung geäußert, es handele sich dabei um ein privates Hobby von Mitherausgeberin Frigga Haug. Um den »Kampfbegriff« zu legitimieren, waren Herkunft, Autorinnen und Zitate auszuweisen. »Die Suche war mühsam. Wo der Ausdruck auftauchte, war er schon da.« Daraus, dass Haug viele Mitstreiterinnen anschrieb und zu Rate zog, sei der Kongress »Die Kraft der Kritik: Wege des Marxismus-Feminismus« von Rosa-Luxemburg-Stiftung InkriT entstanden, zu dem Kipping einleitende Worte sprach.

»Theoretisch konsequent durchgeführt verlangt M-F, Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu denken«, heißt es nun in Haugs Definition im HKWM, Band 8/2. Ein sehr anschauliches Beispiel, was das bedeuten kann, lieferte beim Kongress die Soziologin Christa Wichterich mit ihrer Analyse von Leihmütterschaft in Indien. Es handele sich dabei um die kapitalistische »Landnahme« eines Bereiches, der zuvor noch nicht derartig dem Markt unterworfen war: Der Begriff der Arbeit werde um Schwangerschaft und Gebären erweitert, der Körper der Frauen zum Produktionsmittel. Die Paare, die die Dienstleistung erwerben, gehören entweder zur indischen Oberschicht oder wohnen im Globalen Norden.

Frauen, die nach ihrer Klassen- beziehungsweise Kastenzugehörigkeit eigentlich unter die staatlichen Programme zur Geburtenkontrolle fallen, verhelfen Frauen der oberen Schichten, die ungewollt kinderlos sind, zu ihrem Glück. Ihre »Gebärmacht« führt jedoch nicht dazu, die Geschlechterverhältnisse zu verändern. Die Kategorien Klasse, »Rasse« und Geschlecht spielen bei diesem Vorgang an der Schnittstelle von Biokapitalismus, Bevölkerungspolitik und patriarchaler Geschlechterordnung gut sichtbar ineinander.

Von einem ähnlichen kleinen Moment der Macht in der Machtlosigkeit sprach auch Saskia Sassen, Professorin an der New Yorker Columbia University. So müsse ein Haushalt der oberen Mittelschicht in den USA »funktionieren wie ein Uhrwerk«, und in der Position, dies zu gewährleisten, seien vorwiegend migrantische, ungelernte Haushaltskräfte. Sich darüber bewusst zu werden, könne der erste Schritt zu ihrer Organisierung sein.

Martha Gimenez, Soziologin und Juristin, plädierte dafür, sich nicht mit Identitätspolitiken aufzuhalten, die nur die Konkurrenz zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen verschärften, sondern die Klassenfrage in den Vordergrund zu stellen. Zuschreibungen wie etwa »Hispanics« für Menschen in den USA mit lateinamerikanischen Wurzeln sagten nichts über deren Nationalität, Aufenthaltsstatus, Schicht etc. aus. Ganz sicher aber stünden zehn Prozent Großverdienern 90 Prozent Normal- oder Geringverdiener entgegen. Trotz unterschiedlicher Diskriminierungsformen sprach sich Nira Yuval-Davis von der University of East London für die Suche nach einem »Kollektiven Wir« aus. Ein Arbeiter, der seine Frau schlage, sei natürlich kein politischer Verbündeter, aber seine Rechte seien trotzdem zu verteidigen. Wie viel Geduld nötig ist, um die Verhältnisse zu verändern, zeigte Gayatri Chakravorty Spivak auf. Die New Yorker Professorin leitet auch mehrere Schulen in armen ländlichen Gegenden Indiens. Bräuchen wie dem Verheiraten von Mädchen und der sogar unter Frauen weit verbreiteten Ansicht, dass Vergewaltigungen etwas Normales seien, könne man nicht mit schlichten kämpferischen Methoden zu Leibe rücken. Um bei Menschen etwas zu bewirken, die ohne jeglichen Zugang zu Bildung sind und keine Vorstellung davon haben, dass es so etwas wie einen Staat oder gar eine Frauenbewegung geben könnte, müsse man sich auf deren eigene Denkart einlassen. Dafür müssten allerdings die politischen Akteurinnen zunächst viel über und von diesen »Subalternen« lernen.

So verschieden die Welten, gilt auch für politische Arbeit hierzulande, im Alltag der Menschen anzusetzen. Barbara Fried berichtete von der Arbeit im Netzwerk Care-Revolution. Das versuche, Gemeinsamkeiten zwischen ganz verschiedenen Personengruppen aufzuzeigen, angefangen bei Zeitnot und Überforderung. Ein anderer Ansatzpunkt könne die Erkenntnis sein, dass sich viele Menschen eine akzeptable Versorgung im Alter nur dann leisten können, wenn sie die jüngeren Pflege- und Haushaltskräfte schlecht bezahlen. Dieser Zustand wird sich, wenn keine Änderung eintritt, zwangsläufig in der nächsten Generation wiederholen - in verschärfter Form. Deshalb gilt die Devise, die Fried treffend formulierte: »Wir müssen mehr werden.«

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