Genosse der Unternehmer

SPD-Chef Sigmar Gabriel wirbt bei der Berliner IHK für transatlantischen Freihandel

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei der Berliner Industrie- und Handelskammer hat sich Sigmar Gabriel auf die Seite der Gastgeber gestellt. Er äußerte sich zuversichtlich, seine Position im SPD-Streit um TTIP durchsetzen zu können.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist für seine Flexibilität bekannt. Es gibt kaum ein Thema, zu dem er keine Meinung hat, die sich allerdings schnell wieder ändern kann. Er kann den Gewerkschaftskumpel geben, aber auch den Freund des Großkapitals. Mal mimt er den Antirassisten, mal den Pegida-Versteher. Klimaschutz wird von ihm ähnlich wortmächtig propagiert wie das genaue Gegenteil, wenn es um die weitere Förderung von Kohlekraftwerken geht.

Auch beim wirtschaftspolitischen Frühstück der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) fand Gabriel am Freitag die richtigen Worte für die anwesende Klientel. Sein einleitender Rundumschlag bestand aus jenen Satzbausteinen, die man auch auf Unternehmertagungen hört: Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten, Rahmenbedingungen für Investitionen verbessern, Widerstände gegen Innovationen und den Ausbau der Infrastruktur überwinden. Von ihm bei anderen Gelegenheiten gerne bejubelte SPD-Errungenschaften wie den gesetzlichen Mindestlohn und die Rente mit 63 erwähnte er geflissentlich nicht.

Etwas konkreter wurde der SPD-Vorsitzende beim Thema Freihandelsabkommen TTIP. Es würden irrationale Ängste geschürt, beklagte Gabriel. So denke »niemand auch nur im Traum dran, nationale Souveränitätsrechte durch TTIP« auszuhebeln. Vielmehr biete das Abkommen die möglicherweise letzte Chance, Standards im Weltmaßstab zu setzen, und »wenn wir kein Freihandelsabkommen mit den USA schließen, dann werden das irgendwann die Chinesen machen«. Es gehe um die Frage, »ob wir ein Innovationsstandort bleiben oder eine verlängerte Werkbank werden«.

Auch bei den internationalen Schiedsgerichten, auf deren Einführung die USA in Rahmen der TTIP-Verhandlungen drängen, plädierte der SPD-Vorsitzende für »Selbstbewusstsein statt Ängstlichkeit«. Zum einen sei es auch für die deutschen Unternehmer ein Gewinn, wenn Streitigkeiten um Investitionen »nicht von einem gewählten Laienrichter in Alabama verhandelt werden«. Außerdem solle es keine privaten Schiedsgerichte geben, sondern »eine Art öffentlich-rechtlichen Handelsgerichtshof«, betonte Gabriel. Er gab sich zuversichtlich, dass auch seine Partei diese Position letztlich mehrheitlich tragen werde.

Ebenfalls auf ungeteilte Zustimmung bei den Anwesenden stießen die Ausführungen des Wirtschaftsministers zur Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Zuwanderung sei keine Belastung, sondern liege angesichts der demografischen Entwicklung »im nationalen Interesse«.

Einen kleinen Dissens mit den Wirtschaftsvertretern leistete sich Gabriel schließlich doch noch. Nachdem Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, beklagt hatte, dass die geplante Reform der Erbschaftssteuer den Unternehmen »die Blutzufuhr abwürgen« werde, verwies der Politiker bedauernd auf das Bundesverfassungsgericht, welches für die Besteuerung von vererbten Betriebsvermögen enge rechtliche Vorgaben gemacht habe. Er wisse, dass »das nicht jedem hier schmeckt«, habe bisher aber noch keinen Vorschlag aus Unternehmerkreisen gehört, der eine verfassungskonforme Ausklammerung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftssteuer ermöglichen würde. Über Freigrenzen und Bemessungsgrundlagen werde man aber sicherlich noch reden können, versprach Gabriel.

Natürlich äußerte der SPD-Chef auch seinen Frust, dass seine Partei in der Bundesregierung zwar die »entscheidenden politischen Impulse setzt«, sich dies aber nicht in der Wählergunst niederschlage. Auf den Gedanken, dass das auch mit seiner politischen Beliebigkeit zu tun haben könnte, ist er wohl noch nicht gekommen.

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