Alles in die Tonne treten

Das Rap-Duo Zugezogen Maskulin ist dagegen

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Rap bedeutet homophobe Texte von aufgepumpten Mackern mit einem politischen Wissen, welches Grundschulniveau selten verlässt? Muss nicht sein. Zugezogen Maskulin überzeugen mit politischem Witz.

Begibt man sich im deutschen Pop auf die Suche nach intelligenten Texten, Versen, die weder nach Gereimtem auf dem Niveau gehobener Abiturientendichtung klingen noch so, als seien sie das Produkt einer FDP-Werbeagentur, kann es länger dauern, bis man fündig wird. Auch im Genre Deutsch-Rap tummeln sich zu einem nicht geringen Teil Leute, die nicht bis Drei zählen können und deren politischer Horizont nicht weiter reicht als bis zur Zimmerwand, was nicht wenig Musik aus dieser Ecke so unappetitlich macht: vollständige politische Ahnungslosigkeit, Schwulenhass, peinliches Ich-fick-dich-Mackergetue, Rap von gefönten Schwiegersöhnen, tonnenweise Gegenaufklärung, soweit das Auge reicht.

Das Berliner Rap-Duo Zugezogen Maskulin, offenbar noch nicht dumm gemacht von den Verblödungsinstanzen, bildet die große und umso erfreulichere Ausnahme von der Regel: Testo (Hendrik Bolz) und Grim 104 (Moritz Wilken), beide 1988 geboren, schreiben Texte zum Niederknien. Und sie machen dabei nicht den Fehler, den andere sich als links begreifende Künstler gerne machen: der Form ihrer Werke keine Beachtung zu schenken und die Musik nur als eine Art Gefäß für politische Botschaften zu begreifen bzw. die eigene politische Überzeugung eins zu eins in eine mit gut gemeinten, platten Appellen und Parolen angereicherte und in der Regel humorferne Befindlichkeitslyrik zu übersetzen.

Stattdessen findet man in den Texten von Zugezogen Maskulin (schon der Bandname eine ironische Anspielung auf die Berliner Alt-Rapper Westberlin Maskulin) oft etwas, das man bei anderen so schmerzlich vermisst: die Ambiguität, das Spiel mit Begriffen (»Agenturensohn«), Ironie und Ironieskepsis, ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein ebenso wie die Eindeutigkeit in der Ablehnung des schlechten Bestehenden.

Viele Texte sind präzise Gegenwartsstudien, in Verse übersetzte Momentaufnahmen der Stumpfsinnigkeit und Hässlichkeit, in der aufzuwachsen man von den hiesigen Verhältnissen genötigt wird: »Bunte Plattenbauten, Himmel arschgrau / Jao - Hier sind wir zuhaus / Unsere Gangzeichen eingeritzt im Arm / Fenster, die mal Hakenkreuze waren / Und Feuerzeugbrandnarben / Skinheadgirl, Haarpracht, Pony lang, Rest ab / Düngen unsere Akne mit Billigschnaps / Komm mit uns, verschwende deine Zeit / Spielplatz zwischen Riesenblocks, wir stellen uns auf im Kreis / Saufen um die Wette, und dann tanzen wir zu / Aggro-Ansagen im Blaulicht der Krankenwagen.« (»Plattenbau O.S.T.«) Die ganze Tristesse der Vorstadt- und Kleinstadtjugend finden wir hier, ganze Jahre der Ödnis, wie in einem Brennglas fokussiert: die Langeweile, das Legebatterieleben der Erwachsenen, die ebenso diffuse wie unterdrückte Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer, der ungerichtete Impuls zur Revolte gegen einen materiell nicht greifbaren Feind.

In anderen Tracks wird der Feind konkreter: die normaldeutsche rassistische Bürgergesellschaft (»Wenn nicht gerade ein Turnier ist, bist du nicht zu Gast bei Freunden«), der sarrazinlesende Hausmeistertypus, der feierwütige spanische Touristen zurechtweist (»Ob’s heut’ lauter wird? Naja, kommt vor / War ja auch nicht gerade leise bei Operation Legion Condor!«), die Gentrifizierung und das degoutante Schnöselwesen, das sie nach sich zieht (»Werbekaufleute mit tätowierte Hände«), die Naturkitschbegeisterung und Weltflucht der Hippie- und Esoterikfraktion (»Ich will zurück zum Beton und sag’ Oi! / Ich bin wirklich viel, aber nicht euer Freund!«). Untermalt ist das von technoiden Geisterbahnklängen und Ballergeräuschen, die auf aggressive Holper- und Rumpel-EDM treffen. Kurz: Es ist wegweisend.

Testo und Grim 104 machen »Musik für den Aufstand, der nicht kommen wird« (»Konkret«). Oder, wie sie selbst es formulieren, den »Soundtrack zum alles in die Tonne treten«. Musik eine gesellschaftsverändernde Wirkung zuzusprechen, ist naiv. Bestenfalls trägt sie auf kluge Art etwas so rührend Antiquiertes wie Gesellschaftskritik weiter, zur nächsten Generation, wo doch die jetzige hinreichend verblödet ist. »Alles brennt« ist also Musik zur Zeit, Musik für die Reste jener Jugend, die das Denken noch nicht völlig eingestellt hat.

Zugezogen Maskulin: Alles brennt (Buback / Indigo / Finetunes)

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