Henkel aufs Dach steigen

Zivilgesellschaftliche Gruppen planen Kampagne gegen Verfassungsschutzüberwachung

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Über 700 Personenzusammenschlüsse sind beim Verfassungsschutz als Beobachtungsobjekte erfasst. Gegen die Überwachung sind Aktionen und eine Parlamentsanhörung in der Diskussion.

Die Nachricht sorgte bei Initiativen und zivilgesellschaftlichen Gruppen in Berlin für Aufregung. Nach Aussagen des Innensenats sind derzeit in der sogenannten Amtsdatenbank des Berliner Verfassungsschutzes »700 Personenzusammenschlüsse als Beobachtungsobjekte und Teile von solchen in Berlin erfasst«. Das geht aus der Beantwortung einer schriftlichen Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (parteilos) hervor. Viele Gruppen aus stadtpolitischen und flüchtlingspolitischen Zusammenhängen befürchten, dass sie ebenfalls in das Visier des Nachrichtendienstes geraten sein könnten.

Die Piratenfraktion wollte es genauer wissen und hat deshalb jüngst nachgehakt. »Die Beantwortung von Anfragen zur Überwachungspraxis des Berliner Verfassungsschutzes durch den Senat ist eine Unverschämtheit«, sagt der innenpolitische Sprecher der Piratenfraktion, Christopher Lauer, zu der Antwort, die er aus der Verwaltung von Innensenator Frank Henkel (CDU) erhalten hat. Dem Innensenat wurde der Verfassungsschutz nach Skandalen zu Beginn der Nullerjahre mit seinen knapp 200 Mitarbeitern als Abteilung angegliedert. Mit seinen »Worthülsen« und der bloßen Wiederholung von gesetzlichen Vorschriften würde Henkel das »Misstrauen« gegen den Nachrichtendienst weiter schüren, sagt Lauer.

Tatsächlich ist der Unmut über eine mögliche Beobachtung bei Gruppen, die sich stadtpolitisch engagieren oder sich für Flüchtlinge einsetzen, aktuell sehr groß. Eine ganze Reihe von Organisationen diskutiert derzeit, eine Öffentlichkeitskampagne gegen die ihrer Meinung nach »flächendeckende Überwachung« zu initiieren. Deren Hauptforderung: »Die blinde und überzogene Beobachtung sofort einzustellen.« Mitdiskutiert dabei auch der linke Professor und Aktivist Peter Grottian. Im Zuge des Skandals um die Überwachung des Berliner Sozialforums von 2002 bis 2006 war Grottian einst selbst »Beobachtungsgegenstand« des Verfassungsschutzes.

»Ich sehe einen groben Rückfall zu Beginn des Jahrtausends, als wir vier Jahre überwacht wurden«, sagt Grottian dem »nd« am Mittwoch. 80 bis 90 Seiten habe seine Personalakte umfasst. »Erhebungsinstrumente, Rechtschreibung und Beobachtungsgabe des Nachrichtendienstes waren miserabel«, sagt Grottian. Insgesamt drei Studierende warb der Verfassungsschutz damals »für ein paar hundert Euro« an. In Wirklichkeit, sagt Grottian, sei es aber nicht um das Berliner Sozialforum, einen Zusammenschluss linker Gruppen, gegangen, sondern seine Rolle als Aktivist in der »Initiative Berliner Bankenskandal«, die sich 2001 den Problemen der damals landeseigenen Bankgesellschaft Berlin gewidmet hatte.

Grottian, der für seine Aufrufe zu zivilen Ungehorsam bekannt ist, will nun öffentlichkeitswirksame Aktionen gegen Henkel in die Diskussion einbringen. Der Innensenator könnte beispielsweise selber bei Veranstaltungen unter Beobachtung gestellt werden. »Wir müssen Henkel mal ordentlich aufs Dach steigen«, sagt Grottian. Damit er sieht, wie es ist, unter Beobachtung zu stehen.

Ob sich dieser Vorschlag in dem Bündnis durchsetzt, wird sich zeigen. Flankiert und begleitet werden sollen die Aktionen auf jeden Fall durch eine Anhörung von Experten im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhause, die die Piratenfraktion beantragen will. Der Ausschussvorsitzende Benedikt Lux (Grüne) zeigt sich dafür offen. »Es darf keine anlasslose Überwachung und einen Generalverdacht gegen eine ganze Szene geben, die sich für Flüchtlinge engagiert«, sagt Lux dem »nd«. Da müsse man dem Verfassungsschutz genau auf die Finger schauen. Auch die Linksfraktion würde eine Anhörung »so schnell wie möglich« begrüßen, sagt der Innenexperte der LINKEN, Hakan Taş: »Die Frage ist, wen der Verfassungsschutz beobachtet und ob auch Politiker und deren Mitarbeiter ins Visier geraten sind.«

Beim Verfassungsschutz selbst verweist man bezüglich der Beobachtungen auf die im gesetzlichen Auftrag benannten »Bestrebungen und Tätigkeiten«. Die Zahl 700 umfasst alle »Phänomenbereiche« also Rechtsextreme, Islamisten und Linksradikale. Was die Verteilung angeht, will sich der Nachrichtendienst wegen möglicher Rückschlüsse auf seine Arbeitsweise und Schwerpunkte nicht äußern. Das letzte Wort über die Liste der zu beobachtenden Zusammenhänge hat im Übrigen Henkel selbst. Ihm werden einmal im Jahr die Beobachtungsobjekte zur Billigung vorgelegt.

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