Gute Streiks, schlechte Streiks

Bei der öffentlichen Empörung über die GDL geht es um mehr als den Arbeitskampf der Lokführer

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Lokführer streiken - Wutjournalisten und -politiker benutzen den Ausstand, um in der öffentlichen Debatte das Streikrecht zu attackieren.

»Schikane« (Deutsche Bahn), »ein paar zehntausend Streikhanseln« (Süddeutsche Zeitung), »maßlos« (Hamburger Abendblatt) »skrupellos« (Peter Ramsauer, CSU), »bahnsinnig« (Bild), »pervertiertes Streikrecht« (ARD): Deutsche Medien und Politiker vor allem der beiden Regierungsparteien sowie Vertreter der Bahn AG (DB) sparen derzeit nicht mit starken Worten und Wutaubrüchen, wenn es um die Streiks der Lokführer geht. Blätter des Springer-Konzerns druckten gar die Telefonnummer des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky und forderten die Leser auf, diesem »die Meinung zu geigen«. Ihm wird unterstellt, er lasse nicht für höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeiten, sondern einzig zur Ausweitung seiner Macht streiken. Weselsky hält dagegen, der GDL-Vorstand werde »von den Mitgliedern dafür bezahlt, dass wir nicht gleich den Kopf einziehen, wenn es mal stürmisch wird«.

Die Diskussion ist in hohem Maße unausgeglichen, sie wird unter der Meinungsführerschaft von (vorgeblich) Empörten geführt, die mit ihrer Diskurshoheit ein demokratisches Recht, das Streikrecht, öffentlich unterhöhlen. Dass Solidarität gerade in der Ausnahmesituation Streik nicht selten eine entscheidende moralische Ressource für den Fortgang einer Arbeitsniederlegung ist, ist bekannt. Das Gegenteil, eine öffentliche Entsolidarisierung, erschwert den Streik erheblich. Lokführer möchte man in diesen Zeiten nicht sein.

Bei der enorm negativen Berichterstattung geht es offenkundig gar nicht nur um die aktuellen Anliegen der Lokführer, sondern auch darum, Argumente für ein Gesetz zur Tarifeinheit zu sammeln und solche Ausstände für die Zukunft unmöglich zu machen. Denn in einem Verhältnis zum Geschehen stehen die Ausfälle der »Wutjournalisten« und entsetzten Politiker nicht. »Ein paar zehntausend Streikhanseln« (gemeint waren Piloten und Lokführer)? Selten streiken in Deutschland mehr als ein paar zehntausend Menschen zur gleichen Zeit, häufig sind es weniger. Skrupellos, Schikane? Ein Streik, der keine Störungen nach sich zieht, erfüllt nur schwer sein Ziel. Maßlos? Argumente, weshalb es ungehörig sei, dafür zu streiken, dass die GDL für all ihre Mitglieder verhandeln kann, wurden bisher bemerkenswerterweise nicht in die Debatte eingebracht.

Worum also geht es? Dass der GDL-Streik zeitlich zusammenfällt mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Tarifeinheit - aus der Wirtschaft beklatscht, von Teilen der DGB-Gewerkschaften unterstütz - , passt ins Bild. Schon seit den Koalitionsverhandlungen 2013 stand fest: Es soll ein Gesetz zur Tarifeinheit geben. Einen ersten Entwurf aber hat Arbeitsministerin Andrea Nahles erst vergangene Woche - inmitten der Auseinandersetzung zwischen GDL und Deutscher Bahn - vorgestellt.

Dieser Zeitpunktes könnte durchaus einem Kalkül der Ministerin entsprungen sein. Öffentlich (und seit kurzem auch aus den eigenen Reihen) stehen die Streikwilligen in der GDL unter Beschuss. Dass das Gesetz umstritten ist, gerät dadurch mehr und mehr in den Hintergrund. Gleichzeitig zeigt sich in der öffentlichen Mobilmachung gegen den Lokführer-Streik und für die Tarifeinheit, dass es bei dieser sehr wohl um das geht, was die Regierung vehement abstreitet: eine Einschränkung des Streikrechts.

Dieses ist ohnehin eines der restriktivsten in ganz Europa. Schon jetzt seien »mit den Illegalisierungen von Beamtenstreiks, wilden Streiks, Blockaden, Boykotts, (…), der Einengung von Streikmöglichkeiten nur auf tarifvertraglich regelbare Ziele und den Einschränkungen bei Sympathiestreiks, (…) Defizite in unserer politischen und wirtschaftlichen Demokratie verankert«, hieß es 2012 im Wiesbadener Appell für ein umfassendes Streikrecht, zu dessen Erstunterzeichnern die Linkspolitiker Oskar Lafontaine und Klaus Ernst sowie Funktionäre aus DGB-Gewerkschaften gehören. Den Beteuerungen der Arbeitsministerin zum Trotz liefe die Tarifeinheit in ihrer jetzt vorgeschlagenen Form auf eine weitere Einschränkung des Streikrechts hinaus.

Um dies zu erreichen, werden die davon Betroffenen im gegenwärtigen medialen Diskurs in zwei Kategorien geteilt: hier die Guten, da die Maßlosen. Hier vernünftige Kompromissorientierte, da Wildgewordene. Hier notwendige, da überflüssige Gewerkschaften. Hier gute Streiks, da schlechte Streiks. Für den GDL-Arbeitskampf wird vor unseren Augen die Argumentation gegen einen solchen »schlechten Streik« durchdekliniert; er wird damit als Exempel mit Blick auf die Tarifeinheit stigmatisiert. Das ist allerdings etwas, worüber es sich zu empören gälte.

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