Erster Akt in Renzis Reformagenda
Der italienische Ministerpräsident hat die Vertrauensfrage im Senat überstanden / Beschäftigungsgipfel endete ohne Einigung auf Maßnahmen
Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi wollte unbedingt ein sichtbares Pfand: Am Tag, an dem in Mailand das EU-Gipfeltreffen zum Thema Arbeit stattfand, sollte sein »Job’s Act« auf den Weg gebracht werden. Jedoch verabschiedete der Senat erst am späten Abend nach einer äußerst hitzigen Sitzung, bei der Beschimpfungen aber auch Akten und Bücher durch den Saal flogen, das Gesetz, mit dem im Wesentlichen der Kündigungsschutz aufgegeben wird.
Aber Italien wäre nicht Italien, wenn die Dinge nicht ein bisschen komplizierter wären. Tatsächlich handelte es sich um eine Vertrauensabstimmung, die die Regierung anberaumt hatte, um die Diskussion abzukürzen bzw. zu unterbinden. Und außerdem wurde nicht ein Gesetz angenommen, sondern der Regierung der Auftrag erteilt, ein Gesetz auszuarbeiten und dieses dann - ohne weitere Diskussionen - auf den Weg zu bringen. Um noch genauer zu sein: Die italienischen Senatoren verabschiedeten mit 165 gegen 111 Stimmen einen sehr weit gefassten Rahmen, in dem nur die Kapitel bzw. die Überschriften dieser Kapitel feststehen.
So heißt es, dass die Anzahl der prekären Arbeitsverhältnisse reduziert werden soll, ohne dies aber genauer zu definieren. Weiter wird gesagt, dass die Sozialleistungen für Arbeitslose ausgedehnt werden, ohne auszuführen, wie man das finanzieren will. Das Gleiche gilt für den Kündigungsschutz, der drastisch verringert werden soll, ohne dass aber gesagt wird, wie das genau aussehen soll.
Den Auftrag zur Ausarbeitung all dieser Punkte muss jetzt noch die Abgeordnetenkammer verabschieden, wo es sicherlich erneut zu heftigen Diskussionen kommen wird. Erst dann kann und muss die Regierung die Inhalte des Gesetzes spezifizieren.
Für die regierende Demokratische Partei (PD) war es ein schwarzer Tag. Von Anfang an hatten die Vertreter des linken Flügels dagegen protestiert, dass durch das Vertrauensvotum jegliche Diskussion über ein so wichtiges Thema unterbunden wird. Die meisten »Linken« fügten sich dann der Parteidisziplin, auch weil Matteo Renzi, der auch Parteisekretär ist, gedroht hatte, die Dissidenten auszuschließen. Trotzdem haben drei Senatoren bei der Abstimmung im Senat den Saal verlassen, um nicht für das mitverantwortlich zu sein, was sie als klare Verschlechterung der Rechte der Beschäftigten ansehen. Andere Vertreter der Opposition - vor allem die Bewegung Fünf Sterne und die Partei Linke, Ökologie und Freiheit - prognostizierten sogar einen starken Anstieg des Prekariats.
Gewerkschafter, Schüler und Studenten demonstrierten gegen die italienische, aber auch die europäische Arbeitsmarktpolitik und nutzten dafür das EU-Sondertreffen mit Angela Merkel und François Hollande in Mailand. Dort machte sich der französische Präsident für eine »Anpassung des Rhythmus in der Haushaltspolitik an die Herausforderung des Wachstums« - also für mehr Zeit zum Sparen stark. Einer Änderung der EU-Defizitregeln erteilte Bundeskanzlerin Merkel jedoch eine Absage. Der europäische Stabilitätspakt und die darin bereits enthaltene Flexibilität seien gemeinsamen beschlossen worden. »Und deswegen bin ich voller Zuversicht, dass sich jeder seiner Verantwortung bewusst wird«, fügte sie hinzu.
Doch die Debatte ist damit nicht beendet. Sowohl Hollande als auch Renzi kündigten an, auf dem EU-Gipfel in zwei Wochen in Brüssel über Europas Wirtschaftspolitik reden zu wollen. Renzi versprach zwar, dass sein Land die Defizitgrenze von drei Prozent einhalten werde. Er machte aber auch deutlich, dass er die Regel für veraltet hält: »Sie stammt aus einer anderen Welt.«
Das denkt auch so manch Italiener über den sozialdemokratischen Regierungschef. Die größte Gewerkschaft im Land, die CGIL, hat für den 25. Oktober eine Großdemonstration in Rom zum Thema Arbeit angekündigt. Ein Generalstreik wird nicht ausgeschlossen.
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