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Bricht die Achse Paris-Berlin?

Andreas Wehr über den »Reformbedarf« der französischen Wirtschaft und die Folgen der deutschen Exportindustrie

  • Andreas Wehr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Paris braucht Druck«, so titelte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« aus Anlass des Besuchs des französischen Premierministers Manuel Valls in Berlin. Wahre Freundschaft sieht anders aus. Die so oft beschworene »Deutsch-Französische Achse« in der Europäischen Union scheint nicht mehr zu funktionieren. Das zeigte sich in der ultimativen, ja ruppigen Sprache der »Frankfurter Allgemeinen«: »Reformdruck aus Berlin und Brüssel ist daher unverzichtbar«, heißt es dort. So etwas kennt man eigentlich nur aus Kommentaren über Griechenland, Portugal und gelegentlich Italien, nicht aber über Frankreich. Und ausdrücklich wird die Bundesregierung aufgefordert, Solidarität zu verweigern: »Premierminister Valls sucht in Berlin Verständnis für seine Politik. Er sollte es nicht bekommen.«

Der gescholtene Valls ist aber alles andere als ein linker Systemveränderer. Seine Ernennung zum französischen Premierminister Anfang 2014 markierte vielmehr einen scharfen Rechtsruck der französischen Sozialisten unter Präsident François Hollande. Kaum im Amt hatte Valls ein 50-Milliarden-Kürzungsprogramm für die Jahre 2015 bis 2017 vorgelegt, das Streichungen im zentralen Staatsapparat von 18, bei den Regionen und Kommunen von elf und bei der Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung von 21 Milliarden Euro vorsieht. Während für die Unternehmen die Steuern gesenkt wurden, fror man Sozialleistungen vom Kindergeld bis zum Mietzuschuss ein. Als Vorbild für diese Politik wird in Paris ganz offen die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer genannt.

Der neue Kurs führte auch zu einem Umbau der Regierung. Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg und andere Vertreter des linken Flügels der Sozialisten wurden zum Rücktritt gezwungen. Anlass war die Kritik Montebourgs an der deutschen Politik: »Deutschland sitzt in der Falle der Austeritätspolitik, die es ganz Europa aufzwingt.« Diese Wahrheit wollte man in Berlin nicht länger hören. Die »Frankfurter Allgemeine« frohlocke: »Der Pariser Krawallminister tritt ab.« Erst danach wagte sich Valls zu seinem Antrittsbesuch in die Bundeshauptstadt, von dem es heißt, es sei kein Canossagang gewesen.

Doch der Bundesregierung und den deutschen Medien reicht das alles nicht. Heftig kritisiert wird, dass sich Paris weiterhin weigert, den Staatshaushalt so zusammenzukürzen, dass bereits 2015 das Maastrichtkriterium von drei Prozent Neuverschuldung eingehalten wird. Valls hält vielmehr daran fest, dies erst für 2017 zuzusagen. Würde Frankreich der deutschen Forderung nachgeben, müssten in jedem Jahr 50 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt herausgestrichen werden - und nicht wie geplant über drei Jahre verteilt. Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts würde sich weiter beschleunigen und die jetzt schon hohe Arbeitslosigkeit von 10,3 Prozent weiter anwachsen. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt sie gegenwärtig 4,9 Prozent.

Die weitgehende Anpassung an den wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesrepublik ist Ausdruck des Scheiterns der französischen Politik, sich den Euro nutzbar zu machen. Einst wurde die Einführung der gemeinsamen Währung von Paris forciert, um damit das gerade wiedervereinigte Deutschland fest in Europa einzubinden und zu zähmen. Heute jedoch beklagen französische Ökonomen von rechts bis links, dass der Euro in erster Linie der sehr viel wettbewerbsstärkeren deutschen Industrie nutzt. Ihr bereitet der hohe Euro-Außenwert keine Probleme. Auch für dieses Jahr erwartet die deutsche Industrie neue Rekorde bei den Ausfuhren.

Ganz anders ist die Situation in Südeuropa und in Frankreich. Deren Industrien können nicht länger mithalten, sie verlieren Exportanteile. Offen wird mit Blick auf die grassierende Entindustrialisierung Frankreichs bereits vom »kranken Mann Europas« gesprochen. In der Krise zeigen sich die wirklichen Machtverhältnisse zwischen den Staaten. Und Pardon wird nicht gegeben, europäische Solidarität hin oder her. Jeder ist sich vielmehr selbst der Nächste. Sollte man in Paris zur Einsicht kommen, dass der Euro dem Land auf Dauer mehr schadet als nützt, wird man dort die Haltung ihm gegenüber überdenken. Die heute schon zu bemerkende Entfremdung zwischen Paris und Berlin würde dann zu einer tiefen Entzweiung über den Kurs Europas führen.

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