Noch kein Alarm in Ulm
In Deutschland wird systematisch die Aufrüstung der Bundeswehr gefordert - bislang aus der zweiten Reihe heraus
Bevor der NATO-Gipfel in der kommenden Woche Nägel für die weitere strategische Entwicklung des Bündnisses einschlägt, geistern diverse Absichtserklärungen durch die politische Welt. Angeblich wollen sieben NATO-Staaten eine gemeinsame, 10 000 Mann starke Eingreiftruppe unter britischer Führung schaffen - am Boden, in der Luft und auf dem Wasser. Deutschland ist nicht dabei. Wie man überhaupt von offizieller Seite eine vergleichsweise Zurückhaltung auf Basis der NATO-Russland-Akte zu spüren glaubt. Was Leute aus der zweiten Reihe auf den Plan ruft. Beispiel: Hellmut Königshaus (FDP), Wehrbeauftragter.
Vor einer Woche bereits hat der »Spiegel« millionenfach die angeblich marode Ausrüstung der Bundeswehr und damit deren Einsatzunfähigkeit beklagt. Königshaus meint nun: »Wir brauchen jetzt eine Erneuerung von Kasernen, Fahrzeugpark und Bewaffnung. Viele Bundeswehrfahrzeuge müssten hinter dem Y auf dem Nummernschild noch ein H für historisch haben.« Er spricht damit zugleich der deutschen Rüstungsindustrie aus der Seele, die sich durch das scheinbar forsche Auftreten des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) für die Einhaltung der Rüstungsexportrichtlinien bedroht fühlt. Königshaus sagt: »Wir benötigen eine Modernisierungsoffensive, ein Investitionsprogramm für die Bundeswehr.« Milliardenschwer müsse es sein. Das sei »eine Chance für die deutsche wehrtechnische Industrie«. Man dürfe nicht zulassen, dass die »den Bach runtergeht«. Schon weil niemand wisse, »wie sich die Weltlage entwickelt«.
In der NATO drängen sich jene vor, die es auf eine dauerhafte Konfrontation zwischen dem Westen und Russland ankommen lassen wollen. Doch im Bündnis müssen Beschlüsse von Bedeutung einstimmig gefasst werden. Dass die deutsche Regierung wenig Ambitionen hat, einen neuen Kalten Krieg loszubrechen, zeigt ihr bislang zurückhaltendes Agieren. Beispielsweise bei der am heutigen Montag beginnenden turnusmäßigen Übernahme der NATO-Luftüberwachung über den baltischen Staaten. Man schickt die bisher üblichen vier Jets. Zwei weitere stehen daheim in Bereitschaft.
Auch die Eingreiftruppen-Initiative des britischen Premiers deutet darauf hin, dass die Scharfmacher in der NATO noch nicht gewonnen haben. Die neuerliche Machtdemonstration kreiert nämlich eine Struktur neben den in der NATO bestehenden Eingreiftruppen und signalisiert so: Die NATO wird nicht direkt in den Konflikt eingreifen.
Wirklich heiß wird es, wenn bei Ulm stationierte Soldaten alarmiert werden. Dort gibt es seit einem Jahr das Multinationalen Kommando Operative Führung - kurz MN KdoOpFü. Die Stabstruppe von Soldaten aus 17 NATO-Staaten, die unter deutscher Führung steht, ist als »Antwort auf die immer komplexer werdenden Herausforderungen von Einsätzen einerseits und den Zwang zur effizienteren Nutzung vorhandener militärischer Mittel« geschaffen worden. Also für den »Ernstfall«, der wieder möglich geworden scheint.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.