Grüner Aufruf: «Keinen Schritt mehr nach rechts»

Initiative will «linkslibertäre Lücke» schließen und «Ankommen im Mainstream» verhindern / Bezugnahme auch auf linksliberale Traditionen

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Politiker der Grünen haben sich mit dem Aufruf zu einem grünen «Neuaufbruch» in die innerparteiliche Debatte um den Kurs eingeschaltet - und sich damit von Versuchen abgegrenzt, die Grünen weiter nach rechts zu orientieren. Für eine Partei, deren Erfolg in der Vergangenheit auf neuen Ideen und Zukunftskonzepten beruhte, sei es zu wenig, sich wenige Monate nach einer Bundestagswahl «auf die Bündnisoptionen im Jahre 2017» und «lähmende Flügelauseinandersetzungen» zu beschränken. Die Unterzeichner, darunter linke Grüne wie Hans Christian Markert, Robert Zion, Ludger Volmer, Hans-Jochen Tschiche sowie die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Strengmann-Kuhn und Corinna Rüffer, fordern die Grünen auf, wieder «mutig» zu sein, und die Partei «wieder neu und anders» zu denken. Der Aufruf unter der Überschrift «Grüner Neuaufbruch - grün-links-libertär» ziele darauf, «die linkslibertäre Lücke im bundesdeutschen Parteienspektrum progressiv» auszufüllen.

Eine linke Herausforderung
Tom Strohschneider über den «Neuaufbruch»-Appell von Grünen und eine Denkbewegung, die traditionelle Parteiengrenzen überwindet - hier

Programmatisch gehe es dabei unter anderem um «die Überwindung der sozialen Spaltung und des autoritären Sozialstaates ebenso, wie ein weit entschlosseneres Eintreten für unserer Freiheits-, Grund- und BürgerInnenrechte», als eine Rückkehr zur Basisdemokratie und den Prinzipien der Entspannungspolitik und der Gewaltfreiheit. Man wolle aber auch darüber hinausgehen und «an die positiven und progressiven Elemente des Weimarer und bundesrepublikanischen Sozial- und Bürgerrechtsliberalismus erinnern». Man wolle sich «nicht dem kapitalistischen Albtraum unterwerfen, aber auch keinen sozialistischen Träumereien nachjagen». Die Motive für eine andere Politik speisten sich aus einem «liberalen Grundrechts-, Verfassungs- und Staatsverständnis». Der Aufruf lehnt es daher auch ab, «das Bürgerliche zur Chiffre zu machen, »um eine Rechtsverschiebung der Partei zu rechtfertigen. Daher sagen wir jetzt: Keinen Schritt mehr nach rechts!«

Inhaltlich führt der vierseitige Appell Positionen der linken Grünen und des linkslibertären Spektrums zusammen. Man stelle sich »gegen den neoliberalen Mainstream in der Sozial-,Wirtschafts- und Steuerpolitik wie gegen den neokonservativen Mainstream in der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik, der auch in Teilen der Partei immer noch aufscheint«. Gefordert wird unter anderem »eine Europäische Friedenskonferenz sowie die Konzeption einer Europäischen Friedensordnung jenseits der NATO unter Einbeziehung Russlands«. Kritisch werden »Regime Change-Ideologien und missionarischen Menschen- und BürgerInnenrechtsbellizismus« abgelehnt.

Politik gehen viele der in dem Aufruf formulierte Positionen über den gegenwärtigen Grünen inhaltlichen Kompromisskorridor hinaus. So wird unter anderem ein »Recht auf eine menschenwürdige Umwelt« gefordert, »Ordnungsrecht und die Ordnungspolitik« sollen zu zentralen Hebeln »zum sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft« gemacht werden. »Machtpolitisch kommt dies einem sozial-ökologischen Interessenausgleich und damit einem gesellschaftlichen und politischen Mitte-Unten-Bündnis gleich«, heißt es in dem Aufruf. Die Unterzeichner wollen zudem »unsere Machtwirtschaft überwinden und Konzerne und Konzernverbünde entflechten, Geschäfts- von Investmentbanken trennen, sowie das Recht zur Geldschöpfung den Privatbanken entziehen und in öffentlich-rechtliche Hand geben«. Auf dem Weg zu einer neuen »Vermögensstreuung« solle es in einem ersten Schritt eine einmalige Vermögensabgabe geben, »dem muss im zweiten Schritt eine breite Verteilung der Vermögenszuwächse durch die Einführung einer neu zu konzipierenden Erbschaftsabgabe folgen«.

Sozialpolitisch schließt der Aufruf an die in den vergangenen Jahren geführten Diskussionen über ein Grundeinkommen an. Dieses solle mit einem Stufenmodell eingeführt werden. »Sobald als möglich« solle ein Grundeinkommen im Alter als Sockelrente eingeführt werden; die Rentenprivatisierung wolle man »zurückzuführen«. Abgelehnt wird in dem Appell auch die Politik der Schuldenbremsen sowie die »fortlaufende Ökonomisierung von Schule und Universität«.

»Wir sind und bleiben Grüne«, heißt es in dem Aufruf weiter. Die Partei brauche »wieder einen Horizont, der nicht nur auf die nächste Regierungsoption reduziert ist«. Man hoffe, so die Unterzeichner, »noch frühzeitig genug aufzubrechen, bevor andere ihr endgültiges Ankommen im Mainstream vollendet haben werden«. Der »sozialen Spaltung, dem Abbau unserer BürgerInnenrechte, der Umwelt- und Naturzerstörung, der ökonomischen Vermachtung und der Rückkehr bellizistischer Denkweisen« werde man dann »nicht mehr genug entgegen zu setzen haben«.

Bei den Grünen wird seit geraumer Zeit um die künftige Ausrichtung debattiert. Während sich ein Teil der Partei gegenüber der Union öffnen will und eine »Politik der Mitte« sucht, bemüht sich unter anderem der linke Flügel um eine Neuformulierung grüner Politik. Zuletzt war darüber hinaus eine breite Diskussion über das Erbe des Liberalismus gestritten, dessen positive Teile mit dem Niedergang der FDP brach liegen würden. Zu den Initiatoren des Aufrufs gehören mit Robert Zion und Wolfgang Strengmann-Kuhn Vertreter der Parteilinken, die schon länger auf linkslibertäre Positionen setzen und unter anderem die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen vorangetrieben haben. Zion gehört darüber hinaus zu den friedenspolitischen Vordenkern der Grünen. In einem »allerersten Schritt« habe man, heißt es am Schluss des Aufrufs, einen »Petra Kelly-Kreis zur Wiederbelebung Grüner Entspannungs- und Friedensstrategien ins Leben gerufen«. tos

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