Europa ist ohne Atomkraft besser dran

Thorben Becker fordert angesichts der möglichen Sabotage in einem belgischen AKW den EU-weiten Atomausstieg

  • Lesedauer: 3 Min.

Nach einer möglichen Sabotage wurde das AKW Doel 4 in Belgien in der vergangenen Woche vom Netz genommen, wegen »Störung einer Dampfturbine im nicht-nuklearen Teil«. Abgeschaltet bleiben soll es bis Jahresende. Die Hochdruckdampfturbine hatte tausende Liter Schmieröl verloren und sich überhitzt. Sie wurde gestoppt, der Reaktor schaltete sich ab. Bei den anschließenden Untersuchungen stellte sich heraus, dass ein nur per Hand zu bedienendes Ventil geöffnet war. Das ansonsten unbeschädigte Ventil dient dazu, im Brandfall das Öl in eine große, unterirdische Wanne auslaufen zu lassen.

Zunächst wurde angenommen, dass es sich um ein Versehen handelte, aber inzwischen gehen der Betreiber »Electrabel« und die zuständige Atomaufsichtsbehörde von Sabotage aus. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Erhärtet sich der Verdacht, dann belegt dies ein weiteres Risiko der Atomkraft, vor dem Kritiker seit langem warnen. Spätestens nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA war klar, dass Terrorattacken und mögliche Sabotagen ernst zu nehmende Risiken für die Sicherheit von Atomanlagen sein können. Szenarien gingen vor allem von Angriffen mit Flugzeugen oder panzerbrechenden Waffen von außerhalb der AKW aus.

Der BUND wies in einer bereits 2008 veröffentlichten Studie auf die Gefahr von Sabotageaktionen von innen hin, etwa durch Angehörige von Bedienmannschaften bzw. Servicedienstleistern. Gewarnt wurde auch davor, dass sich die Innentäter-Gefahr potenziell erhöht. So ermöglicht der zunehmende Einsatz von Fremdfirmen auch Terroristen, in einem Atomkraftwerk aktiv zu werden. Zudem gibt es den Trend, zur Kostenersparnis immer mehr Wartungs- und Prüfarbeiten auch während des Leistungsbetriebes der AKW (statt wie zuvor in Zeiten der Revision bei abgeschalteten Reaktoren) durchzuführen. Dadurch entstehen zusätzlich besonders riskante Situationen.

Insgesamt zeigt sich, dass der gestiegene wirtschaftliche Druck beim Betrieb von Atomkraftwerken einen negativen Einfluss auf die sogenannte »Sicherheitskultur« hat. Dass nun in Belgien eine mögliche Sabotage im nicht-nuklearen Teil des AKW stattgefunden hat, kann nicht beruhigen. Wäre die Störung später entdeckt worden, hätte es auch im nuklearen Teil gravierende Folgen geben können.

Nach Abschaltung des AKW Doel 4 sind in Belgien mehr als drei Gigawatt und damit 25 Prozent der Atomstromproduktion des Landes vom Netz. Schon im März waren aus Sicherheitsgründen die Blöcke Doel 3 und Tihange 2 abgeschaltet worden. Bei diesen Anlagen wurden im November 2012 bei einer Routineinspektion mit Ultraschall in den Reaktordruckbehältern Risse gefunden. Die Tatsache, dass Belgien auf die Hälfte seiner atomaren Stromproduktion verzichten kann, ohne dass es zu Problemen bei der Stromversorgung kommt, zeigt, dass auch in unserem Nachbarland ein schnellerer Atomausstieg möglich ist. Leider agiert die Politik in Belgien ganz anders. 2012 wurde der bereits beschlossene Atomausstieg aufgeweicht und bei den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen kursiert der Vorschlag, die Laufzeit einzelner Reaktoren um zehn Jahre zu verlängern. Stattdessen sollten die aktuellen Sicherheitsprobleme Anlass sein, die AKW in Belgien schnell abzuschalten und engagiert an Alternativen zu arbeiten.

Auch aus Gründen der Versorgungssicherheit müssen Atomkraftwerke möglichst schnell der Vergangenheit angehören. Denn wie die aufgetretenen Zwischenfälle in Belgien zeigen, muss es in Atomkraftwerken noch nicht einmal zu extrem bedrohlichen Ereignissen kommen, um einen großen Teil der Stromproduktionskapazitäten lahm zu legen. Eine möglichst dezentrale und regionale Stromversorgung ist auch unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit die bessere Alternative.

Dass ein schneller Atomausstieg bis 2030 sogar EU-weit möglich ist, konnte eine Studie der Wiener Technischen Universität aufzeigen, die der BUND zusammen mit seiner österreichischen Partnerorganisation Global 2000 Anfang des Jahres veröffentlicht hat. Voraussetzung dafür sind stärkere europaweite Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz und ein schneller weiterer Ausbau der erneuerbaren Energien. Statt Förderungen für neue Atomkraftwerke zu diskutieren, müssen die Weichen auch auf europäischer Ebene klar in Richtung Energiewende gestellt werden.

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