Flüchtlinge müssen nicht für Polizisten zahlen

Bundesverwaltungsgericht fällt Grundsatzurteil

  • Sven Eichstädt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Flüchtlinge müssen oft zu Botschaften fahren, wenn für die Behörden unklar ist, aus welchem Land sie stammen. Die Kosten für mögliche Polizeibegleitungen können nicht in jedem Fall den Flüchtlingen aufgebürdet werden.

Ein aus Ghana stammender Mann war im Jahr 2004 nach Deutschland gekommen und hatte hier Asyl beantragt. Der damals 20-Jährige hatte allerdings nicht angegeben, dass er aus diesem Land kommt, sondern den Sudan als sein Heimatland benannt. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, und er sollte abgeschoben werden. Da die Behörden in Baden-Württemberg für die Abschiebung Ausweispapiere anfertigen lassen und deshalb klären wollten, woher der Mann wirklich stammt, ordneten sie in vier Fällen an, dass er von der Polizei aus dem Süden der Republik nach Berlin zu Botschaften gefahren wird, damit die Konsulate klären können, ob er aus ihrem Land in die Bundesrepublik gekommen ist.

Zunächst ging die Fahrt zur Botschaft des Sudans, dann zu der Nigerias, nach ein paar Monaten abermals zur sudanesischen Botschaft und nach weiteren Jahren noch zu der des Tschad. Alle Besuche in Berlin verliefen aus Sicht der Behörden erfolglos, eine Sprachanalyse brachte im Sommer 2006 ebenfalls keine Gewissheit über die genaue Herkunft des Afrikaners. Erst als der inzwischen 26-Jährige im Juli 2010 Vater wurde, kam ans Licht, dass er aus Ghana stammt, weil er dabei eine Geburtsurkunde vorlegte.

Das Land Baden-Württemberg forderte daraufhin im September 2010 für zwei Fahrten in den Jahren 2006 und 2010 zu den Botschaften des Sudan und des Tschad von dem Mann rund 6000 Euro. Zwei Jahre später, im September 2012, reduzierte es die Ansprüche auf eine Fahrt und 3000 Euro. Über die Klage des Manns aus Stuttgart verhandelte zunächst im Januar 2013 das Verwaltungsgericht Stuttgart und im April 2013 der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg. Abschließend entschieden wurde der Fall jedoch erst am Donnerstag vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dessen erster Senat das Verfahren zum Anlass für ein Grundsatzurteil nahm.

Die Richter in Leipzig entschieden nun, dass Ausländer Kosten für eine nicht erforderliche Polizeibegleitung zu einer Botschaft nicht tragen müssen. »Zwar muss ein Ausländer die Kosten, die durch seine Abschiebung entstehen, nach Paragraf 66 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes selbst tragen«, erläuterte der Vorsitzende Richter des ersten Senats, Uwe-Dietmar Berlit. »Davon werden auch Kosten für vorbereitende Maßnahmen wie die Vorsprache bei einer Botschaft zur Klärung der Identität und Beschaffung von Papieren erfasst.« Der Vorsitzende Richter ergänzte, dass ein Anspruch gegen den Ausländer auf Kostenerstattung aber nicht bestehe, »wenn die zugrunde liegende Maßnahme rechtswidrig war und in seine Rechte eingegriffen hat«.

Berlit erinnerte daran, dass es im verhandelten Fall die Behörde eine Begleitung durch Polizeibeamte schon für die Anreise zur Vorsprache bei der Botschaft angeordnet hatte, weil sie davon ausgegangen war, dass der Mann einer entsprechenden Anordnung nicht freiwillig Folge leisten werde. Der Fehler lag nach Ansicht des Senats darin, dass der Flüchtling jedoch zuvor nicht aufgefordert worden war, ohne polizeiliche Begleitung nach Berlin zu reisen und bei der sudanesischen Botschaft zu erscheinen. Der Vorsitzende Richter fand die deutliche Worte, dass »deshalb die Anordnung rechtswidrig war, so dass die angefallenen Kosten vom Kläger nicht gefordert werden können.«

In einem zweiten Verfahren, über das ebenfalls am Donnerstag verhandelt wurde und das sich ebenso um Flüchtlingsfragen drehte, wurde allerdings noch keine Entscheidung getroffen. Der zehnte Senat des Leipziger Gerichts will die Verhandlung an einem noch unbekannten Datum fortsetzen. Hier geht es um die Frage, wie mit Flüchtlingen zu verfahren ist, die in der Bundesrepublik einen Asylantrag stellen und bei denen dann bekannt wird, dass sie schon in einem anderen EU-Land als Flüchtling anerkannt worden waren.

Im speziellen Fall hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag eines Manns abgelehnt, weil seine Fingerabdrücke im Jahr 2010 nicht verwertbar waren. Als er im Oktober 2012 zufällig in eine Polizeikontrolle geriet, konnten seine Fingerabdrücke zugeordnet werden. So wurde bekannt, dass er in Italien als Flüchtling anerkannt worden war und außer in der Bundesrepublik auch schon in Schweden Asylanträge gestellt hatte.

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