Kiew im Angriff - trotz Toten und Trauer
In Odessa wurden 46 Menschen nach Straßenschlachten Opfer eines Brandes / Militärbeobachter frei
Die furchtbaren Ereignisse in der Hafenstadt Odessa wurden von Übergangspremier Arseni Jazenjuk am Sonntag bei einem Besuch propagandistisch gegen Moskau ausgeschlachtet. Sie seien Teil eines russischen »Plans zur Zerstörung der Ukraine«, behauptete er. Bei der Eskalation von Straßenschlachten waren am Freitag in der Schwarzmeerstadt prorussische Demonstranten vor Anhängern der Kiewer Übergangsregierung in das Gewerkschaftshaus geflüchtet. Das wurde mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt. 46 Menschen fanden den Tod, 214 wurden verletzt, davon 27 schwer.
Die Europäische Union hatte nach dem Unglück alle Seiten zu »größtmöglicher Zurückhaltung« aufgerufen. Die »Tragödie« dürfe nicht instrumentalisiert werden, um noch »mehr Hass, Spaltung und sinnlose Gewalt« zu schüren, erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Brüssel.
Unter Missachtung einer von Übergangspräsident Alexander Turtschinow angewiesenen zweitägigen Staatstrauer wurde der Angriff der ukrainischen Armee im russischsprachigen Osten des Landes fortgesetzt. Mit Kampfhubschraubern und Panzerfahrzeugen gingen Regierungstruppen gegen prorussische Milizen vor. Der »Anti-Terror-Einsatz« sei auf weitere Städte ausgeweitet worden, sagte der Vorsitzende des Sicherheitsrats, Andri Parubi.
Moskau hatte eine Großoffensive befürchtet, wie aus einem Telefonat des Außenministers Sergej Lawrow mit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier hervorging. Beide Minister hätten die Bereitschaft bekundet, Verhandlungen zwischen in Kiew und den »Repräsentanten« im Südosten des Landes zu ermöglichen, hieß es in Moskau. Steinmeier schlug eine zweite Genfer Konferenz vor, bei der »endlich klare Verabredungen getroffen werden, wie man diesen Konflikt zum Stillstand bringt und nach und nach einer politischen Lösung zuführt«.
Auch mit der Freilassung von Militärbeobachtern aus OSZE-Staaten verbundene Hoffnungen auf eine Entspannung erfüllten sich nicht. Die Militärs, darunter vier Deutsche, waren Samstag mit einer Regierungsmaschine in Berlin eingetroffen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußerte »tiefe Dankbarkeit« für die internationale Zusammenarbeit, die zur Rückkehr der Männer geführt habe. US-Außenminister John Kerry nannte die Freilassung einen »Fortschritt« in der Ukraine-Krise.
Maßgeblich an der Befreiung aus der Gefangenschaft der Milizen in Slawjansk war der russische Sondergesandte Wladimir Lukin beteiligt. Kreml-Sprecher Dmitri Pskow versicherte später aber, Moskau habe »seinen Einfluss auf diese Leute verloren«.
Außenminister Lawrow forderte in einem Telefonat mit Kerry die USA auf, »das Regime in Kiew zu zwingen«, den Militäreinsatz in der Ostukraine zu stoppen. Die Regierung führe einen »Krieg gegen das eigene Volk«.
Die Kiewer Übergangsregierung wird laut »Bild« von Dutzenden Spezialisten des US-Geheimdienstes CIA und der US-Bundespolizei FBI beraten. »Die Beamten sollen im Auftrag der US-Regierung Kiew dabei helfen, die Rebellion im Osten des Landes zu beenden und eine funktionsfähige Sicherheitsstruktur aufzubauen«, schrieb das Blatt.
Gekämpft wurde am Wochenende auch in Städten wie Kramatorsk, Lugansk und Kostjantyniwka. In Kramatorsk eroberte die Armee einen Fernsehsendeturm und mehrere Kontrollposten der Milizionäre zurück. In Lugansk griffen prorussische Bewaffnete eine Militäreinheit und ein Rekrutierungsbüro der Armee an und verletzten zwei Soldaten. In Slawjansk schien sich die Lage beruhigt zu haben. Dort waren am Freitag bei Kämpfen mindestens neun Menschen getötet worden.
Auf der Halbinsel Krim erzwangen etwa 5000 Krimtataren trotz russischen Verbotes die Einreise ihres Anführers Mustafa Dschemilew. Mit Agenturen
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