Flackerndes Friedenssignal aus Genf
Skepsis auf beiden Seiten der ukrainischen Front / Obama droht Russland nach wie vor mit Sanktionen
Verzicht auf Gewalt, Einschüchterungen und Provokationen, Entwaffnung aller illegalen bewaffneten Gruppen, Räumung illegal besetzter Gebäude, Straßen und Plätze - das sind Kernforderungen der Erklärung, die von den Chefdiplomaten Russlands, der USA, der EU und der Ukraine am Donnerstag in Genf vereinbart worden war. Die Forderungen richteten sich ausdrücklich an alle Konfliktparteien. Gewaltverzicht wird demnach nicht nur von »prorussischen Aktivisten« in der Ostukraine, sondern auch von der Regierung in Kiew verlangt, darin eingeschlossen ist die Entwaffnung des ultranationalistischen »Rechten Sektors« ebenso wie die Räumung des Kiewer Maidan, was der ukrainische Außenminister Andrej Deschtschiza jedoch bestreitet.
Auch im Westen wird die Erklärung reichlich einseitig interpretiert. So drohte US-Präsident Barack Obama in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ausschließlich Russland mit weiteren Sanktionen, »falls sich die Deeskalation nicht in kurzer Zeit vollzieht«. Russlands Präsident Wladimir Putjn hatte am Donnerstag in einer Fernsehfragestunde noch einmal bestritten, dass separatistische Kräfte in der Ukraine von russischem Militär angeleitet würden. »Es gibt im Osten der Ukraine überhaupt keine russischen Einheiten«, sagte Putin, der sich zugleich zu einem »echten Dialog« bereit erklärte, obwohl er die derzeitige Führung in Kiew als »nicht legitim« bezeichnete, da sie »kein nationales Mandat« besitze.
Die Genfer Erklärung vom 17. April nach einer dpa-Übersetzung:
»Das Genfer Treffen zur Situation in der Ukraine hat sich auf erste konkrete Schritte geeinigt, um die Spannungen zu deeskalieren und die Sicherheit für alle Bürger wieder herzustellen. Alle Seiten müssen jegliche Gewaltanwendung, Einschüchterungen und Provokationen unterlassen. Die Teilnehmer verurteilen aufs Schärfste alle Formen von Extremismus, Rassismus und religiöser Intoleranz, einschließlich Antisemitismus.
Alle illegalen bewaffneten Gruppen müssen entwaffnet werden. Alle illegal besetzen Gebäude müssen ihren legitimen Eigentümern zurückgegeben werden. Alle illegal besetzten Straßen, Plätze oder andere öffentliche Flächen in den ukrainischen Städten und Gemeinden müssen geräumt werden.
Demonstranten, die ihre Waffen abgegeben und besetzte Häuser geräumt haben, wird eine Amnestie zugesichert - ausgenommen jenen, die schwerer Verbrechen überführt wurden. Vereinbart wurde zudem, dass die Beobachtermission der OSZE eine führende Rolle bei der Unterstützung der ukrainischen Behörden und Kommunen übernimmt, um diese Schritte zur Deeskalation in den kommenden Tagen dort auszuführen, wo sie am notwendigsten sind. Die USA, die EU und Russland verpflichten sich, diese Mission zu unterstützen, auch mit der Bereitstellung von Beobachtern.
Der angekündigte Verfassungsprozess wird transparent sein und niemanden ausgrenzen. Dazu gehören ein sofortiger, breiter nationaler Dialog, der alle ukrainischen Regionen und politischen Körperschaften erreicht und Möglichkeiten zu öffentlichen Kommentierungen und Verbesserungsvorschlägen eröffnet.
Die Teilnehmer unterstreichen die Wichtigkeit der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität der Ukraine und stehen bereit für weitere Hilfe bei der Umsetzung der oben genannten Schritte.«
Denis Puschilin, einer der Führer der ostukrainischen »Donezker Republik«, erklärte denn auch laut AFP: »Wir sind einverstanden, dass die Gebäude geräumt werden müssen. Aber zuerst müssen (Regierungschef) Jazenjuk und (Übergangspräsident) Turtschinow die Gebäude verlassen, die sie seit ihrem Staatsstreich illegal besetzen.« Überdies habe der russische Außenminister Sergej Lawrow die Genfer Erklärung im Namen Russlands unterzeichnet, »nicht in unserem Namen«. Ein Referendum über die regionale Autonomie der Donezk-Region werde daher weiter für den 11. Mai vorbereitet. Die Genfer Erklärung verpflichtet die Regierung in Kiew zum »breiten nationalen Dialog, der alle ukrainischen Regionen erreicht«. Premier Arseni Jazenjuk beharrte indes auf dem zu Wochenbeginn angeordneten »Anti-Terror-Einsatz«, der allerdings derzeit »nicht in einer aktiven Phase« ist, wie eine Geheimdienstsprecherin erklärte.
Beim Angriff ostukrainischer Aufständischer auf einen Militärstützpunkt in Mariupol waren am Donnerstag mindestens drei Menschen zu Tode gekommen. In der Nacht zum Freitag wurde unbestätigten Angaben zufolge in Slawjansk ein Mensch getötet.
Die Ukraine verwehrt russischen Männern zwischen 16 und 60 Jahren derzeit die Einreise. Aus Anlass der Osterfeiertage wurde jedoch eine Lockerung der Kontrollen angekündigt. Mit Agenturen
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