Zum Verrücktwerden
Patrick Hamiltons »Gaslicht« im Berliner Kriminaltheater
Der Autor Patrick Hamilton wollte Theaterregisseuren Mühe ersparen. Dem Dreiakter »Gaslicht« stellte er bis ins Detail seine geistigen Bilder von den Räumlichkeiten und der Atmosphäre im Londoner Haus der Manninghams voraus. Anfang des 19. Jahrhundert siedelte er das Stück an. Wenig reizvoll für eine heutige Aufführung, könnte man meinen.
Im Kriminaltheater nahm Wolfgang Rumpf den Zeitsprung und schüttelte den Staub ab. Seine vorangegangene Gegenwartsinszenierung, »Der Seelenbrecher« (2013), ist ein Renner im Friedrichshainer Theater. Mit »Gaslicht« erweiterte er das 13-Stücke-Repertoire des Hauses mit dem durch dessen Verfilmung (1944) weltberühmt gewordenen Stoff.
Klassiker, sagt Rumpf, müssen sein. Der spannend von ihm umgesetzte Psychothriller - ein neuer Publikumsliebling. Denn so wenig Rumpf sich an die räumlichen Ideen des Autors hält, so intensiv arbeitet er mit der kriminellen Kraft, die dem Stück innewohnt. Die an dieser Bühne - wenn es passt - auf das Mögliche gebrachte Spiellautstärke reduziert er in der neuen von Dialogen lebenden Inszenierung auf das Nötige und verstärkt das Eindringliche.
Im Rumpfs Fassung als Zweiakter spielt sich »Gaslicht« allein im Schlafzimmer ab. Das Bett bestimmt den Raum mit zu durchquerenden Lamellenwänden in Schwarz und Weiß. Die klare Trennung von Gut und Böse ist so gut nachempfunden. Zielgerichtet will Jack Manningham seine Frau Bella in den Wahnsinn treiben. Um mit neuer Identität an einen alten Ort zurückzukehren, wird sie ihm lästig. Er will sie in eine Nervenklinik entsorgen.
Matti Wien verkörpert den in die Jahre gekommenen Sadisten mit Kälte und macht sofort klar, was hier gespielt wird. Mal despotisch gibt er sich, mal scheinbar besorgt. Dann wieder unterstellt er seiner Frau, sie würde im Hause Dinge verschwinden lassen und sich nicht daran erinnern können. Psychoterror zum Verrücktwerden. Im Bett genießt er die Ehe noch. Momente trügerischen Glücks für sein Weib.
Von seelischer Grausamkeit gepeinigt leidet Julia Horvath als Bella Manningham. Wie soll die bei den systematisch angelegten Merkwürdigkeiten beweisen, dass sie nicht geistesgestört ist? Wer könnte das schon? Rumpf holte sich die in Bühne und TV erfahrene Schauspielerin neu ins Team. Anfangs verzweifelt und zerbrechlich wirkend zeigt Horvath bewegend die wachsende Stärke der die Opferrolle Abstreifenden. Rache ist süß.
Denn Rumpf lässt alsbald als ihren Beistand Mr. William Rough eintreffen. Thomas Gumpert, der im »Seelenbrecher« den Polterigen gibt, zeigt sich hier als pensionierter Kriminaler wie ein stur seine Fährte trottender alter Wolf. Ruhig - und gefährlich für denjenigen, den er sucht. Der Lösung eines unaufgeklärten Mordfalls treibt ihn.
Von ungefähr kam er nicht ins Haus, hat seine Informationsquellen und kennt die ältere Bedienstete Elisabeth. Die eher schüchterne, lebenserfahrene Frau durchschaut die Lage. »Sie können alles bezeugen«, sagt der Hausherr zu ihr. »Oh ja, das kann ich«, bekommt er zur Antwort. Eine keineswegs vordergründige, aber entscheidende Rolle und mit Anette Felber bestens besetzt. Maria Jany hat den dreisten Part als Bedienstete Nancy und macht das gut.
12. 4., 16 Uhr und 20 Uhr, 16., 23., 28. 4., jeweils 20 Uhr, Berliner Kriminaltheater, Palisadenstr. 48, Friedrichshain, Tel.: (030) 47 99 74 88, www.kriminaltheater.de
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