Indien probiert einen Balanceakt in Sachen Ukraine
Regierung wird keine »einseitigen Maßnahmen« gegen Russland unterstützen
Einerseits beschwört Delhi die »Einheit und territoriale Integrität« von Staaten. Das lässt sich proukrainisch deuten. Andererseits spricht es von legitimen Interessen aller Staaten in der Region, Russland also eingeschlossen. Aus Prinzip will Indien keine »einseitigen Maßnahmen« gegen Russland unterstützen.
»India backs Russia« (Indien unterstützt Russland). Die Schlagzeile der Zeitung »Asian Age« klang zwar reißerisch, stimmte aber nur teilweise. In Wirklichkeit versucht sich Delhi in einem Balanceakt. Die »Hindustan Times« beschrieb ihn so: »Die vertrauensvolle Freundschaft mit Russland muss mit dem Festhalten am Grundsatz der territorialen Integrität vereinbart werden.« Und genau darum bemüht sich die Regierung unter Premier Manmohan Singh.
Ihn hatte der russische Präsident Wladimir Putin am vergangenen Dienstag angerufen und sein Vorgehen auf der Krim erläutert. In einer Erklärung des indischen Außenministeriums hieß es, Singh habe »die konsequente Position Indiens zu Fragen der Einheit und territorialen Integrität von Staaten« betont. Der Premier habe die Hoffnung bekundet, dass alle Seiten Zurückhaltung üben und sich gemeinsam konstruktiv um politische und diplomatische Lösungen bemühen, die die legitimen Interessen aller Staaten in der Region berücksichtigen und langfristig Frieden und Stabilität sichern. Bereits vor Tagen hatte der Nationale Sicherheitsberater Shiv Shankar Menon gesagt, auf der Krim wären »legitime russische und andere Interessen berührt«.
Klar scheint zu sein, dass sich Indien an Sanktionen gegen Moskau zumindest vorerst nicht beteiligen wird. Aus einer nicht näher bezeichneten Regierungsquelle schöpften Medien die Information, Indien werde keine einseitigen Maßnahmen eines Landes oder einer Staatengruppe gegen Russland unterstützen. Es habe sich traditionell und prinzipiell nie an solchen Sanktionen gegen ein Land beteiligt, auch nicht gegen Irak und Iran.
Was nicht bedeutet, dass der Coup auf der Krim den Indern keine Sorgen bereitet. Moskau ist mit Sicherheit bekannt, dass sein Partner am Ganges grundsätzlich nichts von Referenden hält, die zu Abspaltungen führen. Diese Ablehnung erklärt sich auch daraus, dass eine UN-Resolution aus dem Jahre 1948 ein Plebiszit für die von Pakistan und Indien beanspruchte Kaschmir-Region verlangt. Während Pakistan noch immer auf dieser Resolution besteht, ist sie von Delhi nie ernsthaft in Betracht gezogen worden, weil sie den Verlust der Region bedeuten könnte.
Das seit über einem halben Jahrhundert enge Verhältnis zur Sowjetunion, später zu Russland, zwingt Indien jetzt zum Eiertanz bezüglich der Krim. Moskau stand den Indern in vielen brenzligen Situationen bei. Es sprang in die Bresche, als der Westen in den 50er Jahren den Aufbau einer staatlichen Schwerindustrie in Indien boykottierte. Es stand diplomatisch auf der Seite Indiens, als Delhi 1971 militärisch die Unabhängigkeit Bangladeschs förderte. Indiens Armee wird bis heute zu einem beträchtlichen Teil mit russischen Rüstungsgütern versorgt. Beim Aufbau von Weltraumforschung, Raketentechnik und Atomindustrie Indiens stand die UdSSR Pate.
Auf der anderen Seite pflegt Indien aber auch gute Beziehungen zur Ukraine. Das gilt vor allem für den Rüstungsbereich, denn ein beträchtlicher Teil des ehemaligen militärisch-industriellen Komplexes der Sowjetunion liegt heute auf ukrainischem Gebiet. Hier werden u.a. die AN-32-Transportflugzeuge modernisiert, die Indien für abgelegene Regionen einsetzt. Schiffsdiesel und Triebwerke für die Hubschrauberflotte Indiens kommen ebenfalls aus der ukrainischen Waffenschmiede. »The Hindu« schrieb am Freitag, Delhi könne aufatmen, denn trotz der Krimkrise seien seine militärischen Interessen in der Ukraine gesichert.
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