Zivilisten leiden besonders
Kommission des UN-Menschenrechtsrats legte Bericht zu Syrien vor
Paulo Pinheiro hat eine schwere Aufgabe. Seit zweieinhalb Jahren beobachten er und seine drei Kollegen in einer unabhängigen Untersuchungskommission die Lage in Syrien. Die Regierung in Damaskus verweigert der vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Kommission bis heute die Einreise. Doch das, was 563 Flüchtlinge und Zeugen den UN-Experten alleine in den vergangenen sechs Monaten berichtet haben, reicht aus, um ein Bild der Lage im Land zu zeichnen, das seit drei Jahren vom Bürgerkrieg zerrissen ist. Es ist ein Bild des Grauens.
Pinheiros Problem: schon aus den bisherigen sechs Berichten sind kaum Konsequenzen gezogen worden. Und beim siebten Report, den er gestern in Genf vorstellte, wird es wohl kaum anders sein. »Die Ergebnisse der Syrienkonferenz in Genf zeigen, dass kein Ende des Kriegs in Syrien in Sicht ist«, sagt Pinheiro. Fast noch schlimmer scheint, dass beide Seiten - Regierungstreue wie Rebellen - mit bisher absoluter Straflosigkeit Kriegsverbrechen verüben. Dafür, dass das möglich ist, gibt Pinheiro dem UN-Sicherheitsrat Mitverantwortung. Denn der kann sich bis heute nicht auf die von der Kommission wiederholt geforderte Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofs einigen.
Kopfzerbrechen bereitet Pinheiro vor allem die starke Zunahme der Belagerung von Wohngebieten, die dabei von der syrischen Armee bombardiert werden. Mindestens eine viertel Million Syrer soll derzeit auf diese Weise eingeschlossen sein. »Die Verweigerung von humanitärer Hilfe, Nahrungsmitteln und grundlegenden Bedürfnissen wie medizinischer Versorgung und Trinkwasser hat die Menschen dazu gezwungen, zwischen Hungertod oder Kapitulation zu wählen«, beklagt Pinheiro. Hungertode, Massensterben und Unterernährung seien die Folge. »Millionen von Syrern leben in Enklaven und sie haben keine Chance, der Gewalt zu entkommen.«
Überhaupt spielen zivile Ziele im Bürgerkrieg eine immer größere Rolle. Pinheiro zufolge werden Krankenhäuser und Schulen angegriffen. Alle genießen nach dem Völkerrecht einen besonderen Schutz, doch niemand schert sich darum. Kinder werden - von beiden Seiten - immer häufiger als Soldaten rekrutiert. Als Kriegsgefangene werden sie gefoltert und nicht anders behandelt als Erwachsene - auch das ein Bruch humanitären Rechts.
In drei Fällen hat Pinheiros Kommission den Einsatz des Kampfgases Sarin nachweisen können. Dieses habe eindeutig aus syrischen Armeebeständen gestammt, sagt er - allerdings: Wer diese Chemiewaffe eingesetzt hat, konnte die Kommission nicht feststellen. Die Lage in Syrien ist dafür zu verworren, auch wenn klar ist, dass die Täter immenses Know-how über den Umgang mit dem Nervengas gehabt haben müssen.
Als besonders grausam hebt Pinheiro den Einsatz von Fassbomben hervor - mit Sprengsätzen und Metall gefüllte Fässer. Der Einsatz von Fassbomben in Aleppo habe Angst und Schrecken in der Zivilbevölkerung ausgelöst. Hunderte Zivilisten seien ums Leben gekommen. Dass systematischer Mord, Folter, Vergewaltigungen und Verschleppungen in Syrien fast schon zum Alltag gehören, droht vor diesem Hintergrund fast schon unterzugehen. Die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen im Syrienkonflikt ist unterdessen auf über vier Millionen gestiegen. Trotz der mangelnden politischen Fortschritte wollen Pinheiro und die anderen Kommissare ihr Mandat, das Ende März ausläuft, verlängern lassen.
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