Botschafter aus dem Nichts
Das malische Tuareg-Kollektiv Tinariwen unterläuft das Klischee vom Musiker aus der Peripherie
Ist das schon der kolonialistische Blick? Oder besser: das kolonialistische Hören? Musik aus der Peripherie, aus den Ghettos und den Ländern südlich oder östlich des Westens wurde immer wieder gerne eine Botschafterfunktion zugeschrieben. Und ja, keine Frage, es gab nicht wenige Künstler, die dieser Erwartung entsprochen haben - mit Verve und heiligem agitatorischen Ernst. HipHop galt der aufgeschlossenen Kritik immer auch als Nachrichtensendung in Permanenz über die Zustände in den schwarzen Vierteln amerikanischer Metropolen, es waren Künstler wie Public Enemy, die dies bestätigten und die Rolle des schwarzen Botschafters annahmen. Zuletzt spielten diese Rolle lateinamerikanische Mestizo-Musiker, die von den Zapatisten sangen und der Selbstverwaltung der Armen in den einst als hoffnungslos abgeschriebenen Favelas.
Und was, wenn dieses Bild vom zornigen Botschafter vor allem ein Klischee ist? Zudem ein ziemlich dünkelhaftes? Denn schließlich verschwindet in diesem Bild der Musiker hinter dem Botschafter, Musik als Kunstform (immer mitdenken: als autonome Kunstform) bleibt das Privileg des Westens, seiner Metropolen und seiner Akademien. Tinariwen, das malische Tuareg-Kollektiv, unterläuft dieses Klischee auf beiden Ebenen: der politischen wie der musikalischen. Sie touren regelmäßig, nehmen Alben auf, werden international vermarktet und mit Auszeichnungen überhäuft. Aber sie sind nicht greifbar, nicht da, wo wir sie vermuten.
Politisch erfüllen Tinariwen alle Voraussetzungen des Botschafter-Daseins: Die nomadisch in Mali und im Niger lebenden Tuareg waren - vor allem in Niger sind sie es noch - eine ausgegrenzte Minderheit, deren Wanderrouten und Weidegründe multinationalen Unternehmen und ihren politischen Handlangern vor Ort nie viel galten, wenn es an die Ausbeutung von Bodenschätzen ging. Umgekehrt wurden in den 80er und 90er Jahren etliche Tuareg-Stämme von Gaddafi für dessen machtpolitisches Kalkül - von ihm deklariert als Antiimperialismus - instrumentalisiert. Ein überdeterminiertes Feld, wie könnte man sich als Musiker aus der Region dazu nicht verhalten? Die Spuren von Tinariwen führen zurück in die frühen 80er Jahre, als sich jugendliche Tuaregs in einem algerischen Flüchtlingslager für Rockmusik begeisterten: Zum ersten Mal hörten sie Mark Knopfler, die Rolling Stones, Santana - diesen Sound wollten sie auch spielen! Tinariwen war geboren, erst zwanzig Jahre später übrigens begann ihre Studiokarriere.
Kein Artikel über Tinariwen kommt ohne diesen Verweis auf die Flüchtlingsherkunft aus, einige Tinariwen-Musiker sollen auch mit der Waffe in der Hand gekämpft haben - gesichert ist das nicht. Sicher aber ist, dass der Co-Bandleader (wenn man bei ihnen überhaupt von dieser Rollenverteilung reden kann - die Band tritt weitgehend vermummt auf) Abdallah Ag Lamida während des jüngsten malischen Bürgerkriegs und der anschließenden westlichen Intervention kurzzeitig entführt wurde und nicht an den Aufnahmen zum neuen Album »Emmaar« teilnehmen konnte.
Alles in allem weiß man wenig - Tinariwen treten, zumindest uns gegenüber, nicht politisch auf, sie geben Interviews, ab und zu, aber dann auf Französisch, und manchmal spricht auch nur der Tourmanager. Alles schreit danach, die Band politisch zu interpretieren, aber letztlich liefern Tinariwen keinen Stoff dafür. Tinariwen heißt »der leere Ort«, gemeint ist die Wüste als Lebensraum, aber auch als Lebensform. Aus den Songtexten, die übersetzt worden sind, spricht radikaler Existenzialismus, es geht um Wasser als Lebensstoff und die Schwierigkeit, angesichts des Nichts der Wüste seine Würde zu bewahren.
»Emmaar« ist in der kalifornischen Wüste aufgenommen worden, weil der malische Bürgerkrieg ihnen die Sicherheit geraubt hat. Kalifornien klingt immer auch nach Big Business, und sie sind auch gleich von der kalifornischen Szene herzlich in Empfang genommen worden, etwa von Josh Klinghoffer, Gitarrist der Red Hot Chili Peppers, der irgendwo auf dem Album auch zu hören sein soll. Allein, es ficht das Kollektiv nicht an, Tinariwen klingen sogar noch stoischer. Sie hätten auch in einem Flensburger Tonstudio aufnehmen können. In ihrem Blues artikuliert sich eine anhaltende Unabhängigkeit, vielleicht sind sie mit »Emmaar« endgültig unangreifbar geworden, der Mainstream und seine Avantgarde - der Pop-Hipster - können ihnen nichts anhaben. Jede Interpretation verliert sich in ihrem rätselhaft monotonen Sprechgesang.
Sie spielen Rockmusik, Blues. Punkt. Sie singen in der Sprache ihrer Leute, sie bauen die Songs - die fast alle gleich klingen, aber genau das zeichnet großen Blues aus - auf ihren Rhythmen auf, sie verwenden auch ihre klassische Harmonien, aber es ist keine »Volksmusik«, es geht nicht um Tradition, sondern um den Bruch mit ihr. Sie liefern uns keinen authentischen Sound »der Wüste«, und sie sind auch nicht wie etliche afrikanische Musiker vor ihnen in die Falle getappt, ihre Musik westlichen Produktionsstandards zu unterwerfen und damit zu verniedlichen.
Umgekehrt: Sie haben sich vom Rock das genommen, was ihnen am besten gefallen hat, was ihnen brauchbar schien: das Raue, Monotone, Laszive, die kollektive Ekstase. Ihre Songs beginnen mit körnigen Gitarrenmotiven, dann setzen die Percussion ein, dann die Call-and-Response-Gesänge in dieser herben, knapp und lakonisch klingenden Sprache. Mehr passiert nicht, mehr dürfte auch nicht passieren. Wenn sie Botschafter sind, dann von »unserer« Musik: Wir hören sie als Echo wieder, als endlich globalisierte - dermaßen universell, dass sie schon wieder in tausend lokale Splitter zerspringt. Auch eine Art Dialektik.
Tinariwen treten, wie erwähnt, vermummt auf - bis auf einen: Ibrahim Ag Alhabib. Er gilt als Bandleader. Ist das so? Ich kenne jemanden, der für sie Touren organisiert hat, der sie in der malischen Sahara besuchte und, wie man so sagt, die Szene dort unten kennt. Auf Alhabib angesprochen, antwortete er nur: Er wisse es nicht.
Die Platte: Tinariwen, »Emmaar« (Wedge/ PIAS Cooperative) Auf Tour: 27.2. Hamburg (Fabrik), 28.2. Berlin (Bi Nuu), 8.3. Köln (Stadtgarten), 10.3. München (Ampere)
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