NPD klagte gegen Gauck

Verfassungsgericht muss Neutralität des Präsidentenamtes auslegen

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Bundespräsident Joachim Gauck soll die parteipolitische Neutralität seines Amtes verletzt haben, als er vor Schülern vor der NPD warnte.

NPD-Chef und Kläger Udo Pastörs ließ es sich nicht nehmen, am Dienstag persönlich in Karlsruhe zu erscheinen. Joachim Gauck, der Bundespräsident und in diesem Fall Beklagte, schickte nur einen Prozessbevollmächtigten. So asymmetrisch begann am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das delikate Verfahren um eine Äußerung, die Gauck während des Bundestagswahlkampfes getätigt hat.

In einer Rede vor rund 400 Oberstufenschülern hatte Gauck hinsichtlich von NPD-gestützten ausländerfeindlichen Demonstrationen gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin am gesagt: »Wir brauchen Bürger, die auf die Straßen gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen.«

Als die NPD bei Gauck nachfragte, ob er damit Mitglieder und Aktivisten ihrer Partei gemeint habe, ließ der mitteilen, »bei verständiger Würdigung der Medienberichte« beantworte »sich Ihre Frage von selbst«.

Daraufhin reichte die Partei eine Organklage ein. NPD-Anwalt Peter Richter nannte diese Äußerung am Dienstag vor Gericht eine »Schmähkritik«. Gauck habe diffamierend zulasten der Partei in den Bundestagswahlkampf eingegriffen und damit seine Befugnisse überschritten.

Der Bevollmächtigte des Bundespräsidialamtes, Joachim Wieland, argumentierte, Aufgabe des Präsidenten sei es, durch Worte die Werte der Verfassung und das Gemeinwohl der Gesellschaft zu verteidigen. »Ein Bundespräsident ist nicht auf die Unterstützung einer Partei angewiesen, er repräsentiert das Volk, er darf und muss sagen, was ihm wichtig ist, und er muss die Grundrechte schützen«, betonte Wieland.

Zum Abschluss der Verhandlung verlas Staatssekretär David Gill eine Erklärung in Gaucks Namen. Das Amt des Bundespräsidenten könne »nur gelingen, wenn der Bundespräsident Werte und Positionen, deren Grundlagen in unserer Verfassung liegen, offen formulieren und verteidigen kann«.

Tatsächlich ist die Rolle des Staatsoberhauptes nicht sehr klar bestimmt. Am deutlichsten ist noch die negative Absetzung des Höchstamtes vom Reichspräsidenten der Weimarer Verfassung: So ist der Bundespräsident weder oberster Befehlshaber der Bundeswehr noch kann er mit »Notverordnungen« am Parlament vorbei regieren. Die Kompetenzen des Höchstamtes sind im Grundgesetz in den Artikeln 54 bis 61 geregelt. Dort finden sich aber vor allem Formalia über die Wahl des Präsidenten, die Bestimmung, dass er weder der Bundes- oder einer Landesregierung angehören darf noch der Legislative in Bund und Ländern oder der Leitung eines Unternehmens, der Amtseid, die Vertretungsregelung, die allgemeine Festlegung, dass der Präsident den Bund nach innen sowie völkerrechtlich nach außen repräsentiere. Laut Grundgesetz ernennt und entlässt der Präsident nicht nur die Regierung, sondern im Grundsatz auch die »Bundesbeamten, die Offiziere und Unteroffiziere«, soweit dies nicht anders geregelt ist. Auch die vom Präsidenten erwartete »Überparteilichkeit« ist im Grundgesetz vorwiegend negativ bestimmt, etwa im Ausschluss von Parteiämtern, Mandaten usw. nach Artikel 55.

In der Praxis wird vom Präsidenten allerdings erwartet, darüber hinaus eine gewisse geistige Führungsrolle zu übernehmen - vor allem durch seine Auftritte und Reden. Eine Vorschrift, die ihm politische Stellungnahmen ausdrücklich verbietet, gibt es nicht. Nach Auffassung des Präsidialamts »hält sich das Staatsoberhaupt in aller Regel mit öffentlichen Äußerungen zu tagespolitischen Fragen zurück. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie parteipolitisch umstritten sind. Die ihm auferlegte parteipolitische Neutralität und Distanz zur Parteipolitik des Alltags geben ihm die Möglichkeit, klärende Kraft zu sein.«

Ob Gauck dem auch gegenüber der NPD nachgekommen ist, müssen nun die Höchstrichter klären.

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