Experten werfen Damaskus systematische Tötungen vor

Bericht in »Guardian« und bei CNN / Syrien-Friedenskonferenz: Ban lädt Iran wieder aus - Opposition kündigt daraufhin Teilnahme an 


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New York. In syrischen Gefängnissen sollen internationalen Experten zufolge tausende Häftlinge systematisch gefoltert und zu Tode gequält worden sein. Dem britischen »Guardian« sowie dem Sender CNN lag am Montag ein Bericht von früheren Anklägern vor, der sich auf Aussagen eines nach eigenen Angaben übergelaufenen syrischen Militärpolizisten stützt. Dieser stellte demnach rund 55.000 Bilder von 11.000 toten Häftlingen zur Verfügung, die er selbst fotografiert haben will.

Den Bericht verfassten der frühere Chefankläger des Kriegsverbrechertribunals für Sierra Leone, Desmond de Silva, der Ankläger im Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, Geoffrey Nice, sowie David Crane, der den liberianischen Präsidenten Charles Taylor angeklagt hat. Sie stuften die Aussagen des Überläufers sowie die Fotos als authentisch ein. Die Bilder seien ein Beweis für »Tötungen im industriellen Ausmaß« durch die Regierung von Staatschef Baschar al-Assad, sagte de Silva dem »Guardian«.

Einige der toten Häftlinge auf den Bildern hatten keine Augen mehr, andere wurden augenscheinlich stranguliert oder mit Elektroschocks getötet, wie es in dem Bericht hieß. Viele Gefangene seien ausgemergelt gewesen, andere zeigten Spuren von Schlägen mit Stangen oder anderen Gegenständen. Es gebe nun einen »direkten Beweis« dafür, was mit vielen verschwundenen Menschen in Syrien passiert sei, hieß es. Die Autoren stellten das Material nach eigenen Angaben der UNO, Regierungsvertretern und Menschenrechtsgruppen zur Verfügung.

Der syrische Bürgerkrieg hatte im März 2011 mit Protesten gegen die Regierung begonnen. Am Mittwoch soll in der Schweiz eine Friedenskonferenz beginnen, die Vertreter der Regierung und der Opposition an einen Tisch bringen will. Weniger als 24 Stunden, nachdem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den Iran überraschend in die Schweiz eingeladen hatte, zog er die Einladung am Montagabend wieder zurück. Daraufhin sagte die syrische Opposition ihre Teilnahme zu - sie hatte verlangt, dass der Iran der Konferenz fernbleibt.

Bans Sprecher Martin Nesirky sagte zu dem diplomatischen Coup, der UN-Generalsekretär sei »tief enttäuscht« über Teherans Weigerung, die Bildung einer Übergangsregierung mit Oppositionsvertretern zu unterstützen. Diesen Plan sieht die Abschlusserklärung der ersten Genfer Konferenz zu Syrien vom Juni 2012 vor. Da Teheran dies aber nicht unterstütze, habe Ban entschieden, dass die Konferenz in der Schweiz ohne iranische Vertretung stattfinden werde.

Der Iran hatte erklärt, dass er »ohne Vorbedingung« an der Konferenz im schweizerischen Montreux teilnehmen werde. Diese Position bekräftigte der iranische UN-Botschafter Mohammed Chasaee kurz vor der Erklärung von UN-Sprecher Nesirky. Der Iran gilt als einer der engsten Verbündeten der syrischen Regierung.

Die syrische Opposition hatte selbst erst am Samstag entschieden, an der Friedenskonferenz teilzunehmen. Mit Bans Einladung an Teheran stand dies dann wieder auf der Kippe und die Opposition machte ein Fernbleiben Teherans zur Bedingung für ihre eigene Teilnahme. Nach Bans Ausladung erklärten die Regierungsgegner, sie begrüßten diese Entscheidung. Sie bestätigten zudem ihre Teilnahme an dem Treffen »mit dem Ziel eines politischen Übergangs in Syrien«.

Allerdings kündigte der Syrische Nationalrat, die größte Teilgruppe des Oppositionsbündnisses, in Folge der Zusage der Syrischen Nationalen Koalition den Austritt aus dem Zusammenschluss an. Der Nationalrat hatte es im Vorfeld stets abgelehnt, in die Schweiz zu reisen. Die Teilnahme an der Konferenz verleugne die Haltung der Opposition, nicht in Verhandlungen einzutreten, solange Präsident Baschar al-Assad nicht zurückgetreten ist, hieß es in einer Erklärung.

Auf Ministerebene findet die Konferenz am Mittwoch in Montreux am Genfer See statt. Am Freitag sollen Vertreter von Regierung und Opposition schließlich in Genf verhandeln. Die Konferenz will einen Ausweg aus dem Bürgerkrieg finden, der nun schon seit fast drei Jahren andauert. Seitdem wurden nach Schätzungen mehr als 130.000 Menschen getötet. Agenturen/nd

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