Simone Peter ist neue Vorsitzende der Grünen

Cem Özdemir im Amt bestätigt / Claudia Roth mit Jubel verabschiedet: »Sind wir noch erkenntlich als Alternative im Parteiensystem?«

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Berlin. Die Grünen haben die frühere saarländische Umweltministerin Simone Peter zu ihrer neuen Parteivorsitzenden gewählt. Die 47-Jährige erhielt bei der Abstimmung auf dem Parteitag am Samstag in Berlin 75,91 Prozent der Stimmen. Für Peter votierten 564 der 743 Delegierten, 82 stimmten gegen sie und 97 enthielten sich. Sie tritt die Nachfolge von Claudia Roth an, die nicht mehr als Grünen-Chefin kandidierte.

Die zum linken Parteiflügel zählende Peter rief den Grünen in ihrer Bewerbungsrede zu: »Lasst uns unser Profil schärfen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.« Die Grünen hätten zwar bei der Bundestagswahl verloren, doch könnten sie auch wieder gewinnen, wenn sie sich auf ihre Stärken besinnen und zusammenhalten. Sie wolle die Partei »integrativ und streitbar« führen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, gratulierte Peter auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Er sprach von einer guten Wahl und erklärte, er freue sich auf die Zusammenarbeit.

Kurz darauf wurde Parteichef Cem Özdemir (47) im Amt bestätigt. Er erhielt am Samstag in Berlin 71,4 Prozent der Stimmen. Die Nachrichtenagentur sprach von »einem schwachen Ergebnis«. Für den Baden-Württemberger, der dem Realo-Flügel angehört, stimmten 542 von 759 Delegierten.

Gegen den Parteichef war als zweiter Kandidat Thomas Austermann aus Münster angetreten, der aber keinerlei Chancen auf das Amt hatte. Für ihn votierten lediglich 17 Delegierte. 53 Delegierte enthielten sich und 147 stimmten mit Nein.

Vor einem Jahr hatte Özdemir noch 83,3 Prozent erhalten. Özdemir war nach dem enttäuschenden Ergebnis für die Grünen bei der Bundestagswahl der einzige aus der Parteiführung, der erneut für ein Spitzenamt kandidierte.

Özdemir sprach sie gegen Flügelkämpfe aus: »Vielleicht sollten wir künftig auch dafür sorgen, dass der Mitgliedsausweis bei den Grünen entscheidend ist und nicht der Mitgliedsausweis bei einem Flügel.« Zuletzt habe auch ihm manchmal der Mut gefehlt, »mit der eigenen Position auf die Schnauze zu fallen.«

Roth war zuvor mit minutenlangen Standing-Ovations verabschiedet worden. »Ich will keine Tränen sehn«, rief die nach mehr als elf Jahren scheidende Parteichefin Claudia Roth den rund 800 Delegierten zu - und hielt sich selbst nicht daran. Roth forderte die Partei zu einem kämpferischen Kurs auf: »Wir dürfen uns nicht in die Ecke verkriechen.« Daher gelte: »Attacke ist schon angebracht gegen eine gefährlich falsche Politik.«

Roth rief die Partei auf, renitent zu bleiben und die Politik wieder mit Leben zu füllen. »Sind wir noch erkenntlich als Alternative im Parteiensystem? Ich fürchte, da könnten wir noch ein bisschen nachbessern.« Ihr Amt sei mehr als eine Funktion gewesen. Sie wünsche sich, dass die Grünen immer die Grünen blieben und sich nicht über andere definierten. Roth will nun Vizepräsidentin des Bundestages werden.

Der Abgeordnete Frithjof Schmidt sagte: »Du verkörperst die emotionale Wahrheit unserer grünen Politik wie niemand sonst.« Die bayerische Landesvorsitzende Theresa Schopper sagte, Roth habe sich »zu einem Eisbrecher für konservative Männer« entwickelt. »Du bist auf der Skala Leidenschaft immer mit der vollen Punktzahl.«

Auch Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke trat nach elf Jahren ab. Sie hinterlasse eine Partei, »die absolut selbstbewusst und kämpferisch nach so einer Wahlniederlage aufsteht und mit dem Fuß aufstampft«, sagte sie. Jetzt fühle sie sich auch befreit.

Mit Spannung wurde der Ausgang der Wahl zum Parteirat erwartet. Mit der Kandidatur unter anderem des baden-württembergischen Landwirtschaftsministers Alexander Bonde versuchen die Länder, ihren Einfluss in diesem Führungsgremium zu verstärken.

Zuvor hatte der Parteitag mit großer Mehrheit eine strategische Neuausrichtung beschlossen: Um wieder an die Macht zu kommen, wollen sich die Grünen künftig offen nach allen Seiten zeigen. Für Rot-Grün habe es bei der zurückliegenden Bundestagswahl zum dritten Mal nicht gereicht, nun müssten andere Optionen möglich sein, »sei es Rot-Grün-Rot oder Schwarz-Grün«, heißt es in dem Beschluss.

Und weiter: »In unserer Partei müssen wir die bestehende Blockade überwinden, damit alle auch alle Optionen mittragen können.« Als Lehre aus dem Wahlkampf müssten es die Grünen wieder schaffen, eine realistische Machtoption zu erarbeiten. Zuvor lehnte die Versammlung einen Realo-Änderungsantrag ab, der die Pläne für höhere Steuern ausdrücklich als »Fehler« bezeichnete, auf den das schlechte Wahlergebnis zurückzuführen sei.

Die Grünen wollen selbst keine Initiative für Sondierungsgespräche mit SPD und Linken ergreifen. Ein Antrag, der Gespräche mit dem Ziel einer rot-rot-grünen Regierung oder einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken forderte, fiel durch. Angesichts der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD sei dafür jetzt der falsche Zeitpunkt, sagte der neue Fraktionschef Anton Hofreiter. Agenturen/nd

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