Die Widerspenstigen sind inhaliert

Gegen den Machtfilz der CSU werden im Kulturbetrieb Bayerns nur noch wenige kritische Stimmen erhoben

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
Wiesn, Wiesn, Wiesn ... Das Oktoberfest dünstet wieder seinen medialen Bier-, Promi- und Mia-san-Mia-Gestank aus - jenen Duft, den die CSU am liebsten mag. Und das praktisch ohne kulturelle Gegenwehr. Denn unter der CSU-Herrschaft ist schreckliches geschehen: die Hegemonie-Werdung der Lederhosn und die Verdirndlung der Welt.

Mehr als ein halbes Jahrhundert herrscht die CSU in Bayern. Das hat Spuren hinterlassen. Die Partei ist keine politische Erscheinung mehr, sondern ein Strukturelement der bayerischen Landschaft, mit der sie auf vielfältigste Weise verbunden und verfilzt ist. Das gilt auch für den kulturellen Bereich. Längst sind die kritisch-oppositionellen Stimmen in Bayern meist verstummt oder haben sich in das von der schwarzen Macht großzügig geduldete Gezappel der Hofnarren verwandelt. Oder sind so vom Erfolg gefüttert, dass man freiwillig aufhört.

Gerhard Polt und die Biermösl-Blosn zum Beispiel. Der Kulturkampf zwischen bayerischen Defiliermarsch und den Stimmen eines »anderen Bayerns« - einst auch im Fernsehen ausgetragen, als Polt aus Protest gegen Zensur zehn Minuten gar nix sagte - sind vorbei. Heute gehören Polt und Biermösl quasi zum rustikalen kulturellen Inventar des weißblauen Freistaates, geehrt und mit Preisen überhäuft. Ihre Auftritte vor feinsinnigen Publikum im Theater gehören zu den milden Akten kultureller Opposition. Polt würde heute kongenial in die Seiten jener neuen Retro-Zeitschriften passen, die sich »alten Apfelsorten«, den »bewährten Rezepten aus Großmutters Küche« oder den »schönen Seiten des Landlebens« widmen - wäre er nicht so querdenkerisch und unabhängig, dass er sich den Vereinnahmungen des Establishments entgegenstellen würde.

»Quer« - so nennt sich auch das »politische, kritische, bayerische Magazin« des Bayerischen Rundfunks mit dem Satiriker Christoph Süß. Mit »Derblecken« der Politprominenz beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg oder Satiresendungen wie »Live aus dem Schlachthof« hat dieses Magazin eines gemeinsam: Es dient als Spielwiese für all jene, die als Narren zu Hofe oder als paternalistisch geduldete Kleinkritiker im Freistaat ihre Späßchen treiben dürfen. Nichts an ihnen wird den Mächtigen wirklich gefährlich. Von den subversiven Bühnentätigkeiten eines Dieter Hildebrandt sind sie soweit entfernt wie die SPD von einer Landtagsmehrheit. Auch den ehemaligen »Scharfrichter-Kabarettisten« aus Passau wurde längst der Zahn gezogen oder er ist ihnen ausgefallen: Bruno Jonas etwa gibt nur noch den saturierten bayerischen Bühnentrottel.

Überhaupt ist Saturiertheit inzwischen zum Begleitelement ehemals kritischer Kultur geworden. Zwischen der schönen bayerischen CSU-Welt und den Kulturschaffenden klafft keine unüberwindbarer Abgrund mehr. Die Musik von »Haindling« etwa ist mittlerweile zur Erkennungsmelodie für alles medial-bayerische avanciert und der Filmemacher Josef Vilsmeier ergötz sich in seinem Heimatfilm »Bavaria« an der Schönheit Bayerns von oben. In neuen bayerischen Spielfilmen à la »Wer früher stirbt, ist länger tot« von Marcus Rosenmüller wird der Dialekt zum Markenzeichen. Dieser (oberbayerische) Kunstdialekt hat mit jenen Kunst-Dirndln und Kunst-Lederhosen eines gemeinsam: Sie formen einen postmodernen Zeichen- und Identifikationsraum, der unmittelbar jenem der CSU benachbart ist (und diesen überlappt), jener angefüllt mit den Ikonen des Erfolgs und zugleich der Tradition: Mit Laptop und Lederhose, Audi A8 und Gamsbart.

Das weiß-blaue Lodenmantel-Establishment hat so auch den Kulturkampf gewonnen, der seit den 1970er Jahren mit dem Auftauchen alternativer bayerischer Musik und anderen Kunstformen in Gang gekommen war. Sie widersetzten sich der Beschlagnahme von Volkskultur durch die CSU und waren so oppositionelle Speerspitzen gegen deren Hegemonieanspruch, wenn es sein musste, wie im Falle der legendären Kabarettssendung »Scheibenwischer« aus den 1970er Jahren auch aus dem außerbayerischen Raume. Mittlerweile hat der schwarze Machtfilz diese widerspenstige Kultur längst inhaliert und verdaut, wenn sie sich nicht von selbst aufgelöst hat. Die CSU hat sich dabei von einem donnergrollenden Machtgebrauch in der Art des knirschenden Wilfried Scharnagl, Ex-Chefredakteur des »Bayernkurier«, verabschiedet hin zu einem einölenden, flexiblen Machtmanagement.

Doch selbst für die CSU ist nicht alles verdaubar. Dazu gehört wohl der wildwachsende Anarchismus eines Georg Ringsgwandls. Freilich, an das verstummte absurde Schwergewicht Herbert Achternbusch mit dessen filmischen Majestätsbeleidigungen (»Der Depp«, 1982) reicht er nicht heran. Auch der Passauer Kabarettist Sigi Zimmerschied ist viel zu querköpfig und sperrig, als dass er leichte Beute wäre. Kultureller Hauptfeind der CSU und langjährig erprobter Kämpfer in der Kulturarena aber ist nach wie vor der Liedermacher Hans Söllner. Der stand zum Beispiel vier mal wegen Beleidigung des damaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) vor Gericht und wurde 2010 schließlich zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt. Die beanstandete Liedzeile lautete: »Früher hams Hitler ghoaßn oder Himmler / wisst's es no, heit hoaßns Beckstein und Haider / früher warn's de Juden, heit de Türken / des kimmt ja echt aufs selbe raus / Ihr schürt's den Hass von Millionen / und suachts für eure Fehler Leut / de ma verhoazn ko wia damals / und koana merkt's, was ihr da treibts.« Seither ist es an der bayerischen Kulturfront allerdings wieder ruhig geworden.

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