Saurer Schweiß auf süßen Beeren

In Schweden arbeiten Tausende von Wanderarbeitern als Pflücker - unter teils unhaltbaren Bedingungen

  • Anna Lehmann, Umeå
  • Lesedauer: 3 Min.
Tausende Wanderarbeiter ernten die Beeren in Schwedens Wäldern - unter erbärmlichen Bedingungen. Nun protestieren 50 von ihnen in Umeå.

Zwei Monate schon sammelt er täglich zehn bis zwölf Stunden Beeren im Wald und hat noch keine Krone Lohn erhalten, sagt Windi Kawkebkam. Seine Augen sind rotgeädert, trotz der Wärme trägt er Steppjacke und Skihose. Wie die anderen 50 Pflücker wirkt er erschöpft. Sie campieren seit drei Tagen in Autos auf einem leerstehenden Grundstück der Universitätsstadt Umeå im Land Västerbotten. »We want help« steht auf einem Betttuch.

Jedes Jahr zur Beerensaison protestieren in Schweden Pflücker, die unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften und um ihren Lohn geprellt werden. Das Jedermannsrecht erlaubt es allen, Blaubeeren, Preiselbeeren und Moosbeeren in Schwedens Wäldern zu sammeln. Auch Firmen machen sich das Recht zunutze, heuern billige Erntearbeiter an und verkaufen die Beeren an die Industrie.

Rund 150 000 Tonnen Beeren ernteten Firmen 2012. Das geht aus einem unveröffentlichten Bericht der Nichtregierungsorganisation Swedwatch hervor. »Nur etwa 20 Prozent der Beeren bleiben in Schweden, der größte Teil wird nach Japan und in andere asiatische Länder exportiert, wo sie von multinationalen Konzernen für Medizin- und Kosmetikprodukte verwendet werden«, sagt Studienautor Mats Wingborg.

Praktische jede schwedische Beere wurde von einem Wanderarbeiter gepflückt. 2013 hat das Migrationswerk über 6000 Genehmigungen für ausländische Arbeiter erteilt - alle aus Thailand. Windi Kawkebkam und seine Kollegen wurden von der thailändischen Firma Phoenix Enterprises angeheuert, die ihnen die Löhne zahlen muss. Die Beeren gehen an eine schwedische Firma, welche das Geld für die Arbeiter an Phoenix überweist. Das sei geschehen, sagt die Besitzerin der Firma dem »Västerbottens Kuriren«.

Kent Engstörm, der die Interessen von Phoenix Enterprises vertritt, sagt gegenüber »nd«, die Löhne seien gezahlt worden, allerdings seien sie mit Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung verrechnet worden. Das Geld sei auf einem Konto deponiert. Die Aufregung der Arbeiter versteht er nicht: »Sie sind seit Juli hier und wollen für zwei Monate Lohn.« Das sei nur ein Kommunikationsproblem.

Für Kawkebkam und seine Kollegen ist es ein existenzielles Problem. Phoenix hat ihre Pässe und Rückflugtickets einkassiert. Kawkebkams Darstellung zufolge haben sie in Thailand 85 000 Bath (ca. 2000 Euro) für die Tickets bezahlt und müssen täglich 180 Kronen (ca. 20 Euro) für Unterkunft, Verpflegung und Transport löhnen. Nicht wenig für ein Zimmer, in dem acht Männer auf Isomatten schlafen. Das Essen sei schlecht.

Dabei ginge es ihnen noch gut: Landsleute, die weiter südlich arbeiten, seien alle zusammen in einem Schlafsaal untergebracht. »Es sind mehrere hundert. Sie haben kein warmes Wasser und keine medizinische Hilfe. Auch sie wurden nicht bezahlt«, so Kawkebkam. Ein anderer Arbeiter zeigt Fotos von Menschen, die auf dem Boden schlafen. Kawkebkam sagt, ihre Landsleute seien ebenfalls bei Phoenix Enterprises angestellt. Engström bestätigt, dass es ein weiteres Lager mit 300 Arbeitern gibt. Über die Zustände dort könne er nichts sagen. »Aber letztes Jahr hat es keine Klagen gegeben, alles verlief reibungslos.«

Eigentlich müssen die Unternehmen, bevor sie Pflücker anheuern dürfen, nachweisen, dass sie diese bezahlen können, und zwar mit dem Mindestlohn von 13 000 Kronen pro Monat. Der soll auch ausgezahlt werden, wenn es wenig Beeren gibt oder Arbeiter krank sind. Der Haken: Sobald eine Firma die Nachweise erbracht hat, kontrolliert niemand mehr, ob sie sich daran hält. Die schwedische Regierung hat jetzt erst vorgeschlagen, nachträgliche Kontrollen und Sanktionen einzuführen.

Das hilft aber nur den Pflückern, die über Unternehmen angestellt werden. Für Tausende von Bulgaren, Moldawiern oder Ukrainern, die auf eigene Faust pflückten, sei die Lage noch unerträglicher, so Wingborg. Sie hausten in Lagern im Wald, ohne Sanitäranlagen und hätten keine Rechte.

Kaum ein Trost für Kawkebkam: Am 10. Oktober will er zu seiner Frau und den drei Kindern fliegen. Hoffentlich mit genügend Geld, um sie zu ernähren.

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