Im Landtag soll es nicht mehr stinken
Niedersachsens Parlament wird ab 2014 endlich saniert - das Projekt weckt Erinnerungen an alte Gruselgeschichten
Werden die Knochen des Grafen Königsmarck ans Tageslicht kommen, wenn Bauarbeiter 2014 das Domizil des Niedersächsischen Landtags in Hannovers Leineschloss neu gestalten? Immer dann, wenn an der fast vierhundert Jahre alten Residenz gewerkelt wird, lebt die Frage nach dem Gerippe des 1694 verschollenen Adligen wieder auf. Weil er mit der Gattin des Kurprinzen Georg Ludwig eine Affäre hatte, sei Philipp Christoph von Königsmarck von Hofschranzen im Schloss eingemauert worden, heißt es in der Überlieferung.
Königssitz und Volksküche
Zweifel daran, dass Bauleute bei der Umgestaltung des Parlamentshauses die Ruhe des gräflichen Skeletts stören, begründet allerdings die Fokussierung der Arbeiten auf den erst 1962 entstandenen Plenartrakt. Er wird völlig umgebaut, erhält große Fenster. Wie das bis 2017 umgesetzt werden soll, zeigt ein Konzept, das Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) unlängst präsentierte. Rund 48 Millionen Euro wird das Ganze kosten. Dafür bekommen die Abgeordneten mehr Licht und bessere Luft.
Muffig wird es zurzeit im Landtag nicht nur, wenn Redner gesellschaftspolitische Vorstellungen aus der Adenauer-Zeit verteidigen, sondern auch, wenn mal wieder üble Dünste aus maroden Abwasserrohren bis in den Plenarsaal wabern. So schlimm war der Fäkalgestank schon, dass ein Abgeordneter den Abbruch einer Sitzung beantragte. Doch damit nicht genug. Die Belüftung taugt nichts, die Lichtverhältnisse des fensterlosen Raums sind ebenso schlecht wie die Akustik, die Haustechnik ist überaltert, die Isolierung der Decke mangelhaft. Angesichts dieser Missstände einigten sich die Parlamentarier 2012 nach zweijährigem Hin und Her auf den gründlichen Umbau.
Erhalten bleibt dabei die Fassade des Plenarkomplexes. Er war vor 51 Jahren vollendet und mit dem Leineschloss verbunden worden. Seither ist es Sitz des Landtages. Er hatte zuvor, seit 1947, in Hannovers Stadthalle getagt.
Kaum ein anderes Monumentalgebäude in Hannover dürfte eine so wechselvolle Geschichte haben wie der einstige Fürstensitz, der 1637 direkt am Stadtfluss Leine als Fachwerkbau errichtet wurde. Er musste in den folgenden Jahrzehnten die Um- und Ausbauphantasien diverser Kurfürsten und Könige ebenso überstehen wie Brände und Plünderungen. Erst zwischen 1816 und 1844 erhielt das Schloss sein vertrautes Erscheinungsbild mit dem klassizistischen Säulenportikus. Die Residenz sollte nach außen dokumentieren, wie bedeutsam das Königreich Hannover ist, das 1814 auf dem Wiener Kongress geschaffen worden war. Bis zur Annektion Hannovers durch die Preußen 1866 residierte im Schloss König Georg V., Ururgroßvater des aus höchst unrühmlichen Medienberichten bekannten Prinzen Ernst August, Ehemann von Prinzessin Caroline von Monaco.
Georg ging ins Exil, preußische Behörden hielten Einzug, ein Monarch war nur noch ab und zu präsent: Wilhelm II. Der letzte deutsche Kaiser hatte Gefallen am Schloss gefunden, ließ sich einen Trakt für gelegentliche Besuche herrichten. Mit der Monarchie verschwand Preußens Gloria 1918 auch aus Hannovers Palast. Die Stadt nutzte ihn künftig für die Ärmsten: Sie fanden im Schloss eine Volksküche und eine Wärmehalle.
Nicht sozialen, sondern militaristischen Zielen diente der Bau Haus sodann dem Hitlerregime: Es richtete dort eine »Heeresgedenkstätte« ein. Die Repräsentationsräume aber schienen den Nazis für wüste Feiern der geeignete Rahmen zu sein. »Schwere Schäden hinterließen die Nationalsozialisten mit ihren Gästen bei Empfängen und Festlichkeiten in den Festsälen«, heißt es in einer Broschüre des Landtags.
Nur die Außenmauern blieben übrig, als das Schloss 1943 nach schwerem Bombardement ausbrannte. Erste Weichen für den Einzug des Landtages und damit für den Wiederaufbau wurden 1949 gestellt, 1957 begannen die Arbeiten am künftigen Parlamentssitz, fünf Jahre später wurde der Plenartrakt vollendet. Der »Spiegel« nannte ihn einen »kubistischen Klotz«.
Im Sack in die Leine?
Knochenfunde im Bereich des Schlosses ließen Anfang der 1950er Jahre die Fragen um Königsmarck wieder aufleben. Ein Wissenschaftler berichtete damals: Nach seinen Forschungen sei der Graf im Schloss umgebracht, die Leiche dann aber in einem Sack in die Leine geworfen worden. In den selben Fluss, in den über 200 Jahre später der Serienmörder Fritz Haarmann die Knochen seiner Opfer versenkte.
Verfechter der Einmauer-These verweisen nach wie vor auf Theodor Fontane. Er schrieb zu Königsmarck: »Seine Leiche versenkte man in einen senkrecht durch die ganze Höhe des Schlosses laufenden Kanal und mauerte diesen zu.« Ob er noch immer dort ruht?
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