Liebe, Terror, Tyrannei

Verdi in Frankfurt/Main

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 2 Min.

Hass macht blind und taub für die kurzen Momente, in denen Vernunft eine Chance hätte. Das ist das Fazit von Verdis Opernversion eines Aufstandes im 13. Jahrhundert, der despektierlich als »Sizilianische Vesper« in die Annalen eingegangen ist. Verdi war selbst in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Befreiungskampf seiner Heimat eingebunden. Seine in Paris uraufgeführte, kaum gespielte Grand opéra ist auch ein Kommentar zur Lage - für den ein ziemlicher Choraufwand betrieben und ein paar ausgezeichnete Sänger aufgeboten werden müssen. Also gerade richtig für ein ambitioniertes Opernhaus wie das in Frankfurt am Main.

Regisseur Jens Daniel Herzog hat die Handlung in etwa bis zum RAF-Terror an uns herangeholt. Am Fuße einer Hochhaus-Zentrale des Kapitalismus (Ausstattung Mathis Neidhardt) gibt es zum Auftakt einen eiskalten Mord. Der verlangt nach Rache bei den Angehörigen und Gesinnungsgenossen des Ermordeten, die von einer arroganten Clique obendrein erniedrigt werden. Widerstand wächst langsam, Ideologen reden viel von Freiheit und Tod und organisieren den Terror. Doch der Kandidat für den Tyrannenmord stellt sich als Sohn des Gouverneurs heraus. Als er es erfährt, kann er nicht abdrücken. Er erweist sich aber auch als die schwache Seite des brutalen Vaters. Der gibt als Gouverneur Generalpardon, will gar die Heirat des Sohnes mit der sizilianischen Herzogin, in die dieser ohnehin verliebt ist.

Versöhnliche Neuanfänge dieser Art gibt es aber nur als Ausnahme von der Regel. (Mandela ist die eine, die wir erlebt haben.) In Sizilien, bei Verdi und auch in Frankfurt geht die Sache katastrophal aus. Die Ideologen des Widerstandes kommen nicht aus ihrem Denkgefängnis und so werden die Hochzeitsglocken zum Startsignal eines Massakers. Irgendjemand findet sich immer, der das Paar an der Hochzeitstafel hinterrücks erschießt. Was so schlimm wie wahr ist. Immer noch. Und fast überall.

Mit seinem südländischen Temperament und der Umsicht des Aufsteigers sorgt Pablo Heras-Casado am Pult des Opern- und Museumsorchesters für italienischen Schwung im Graben. Das tragisch endende Liebespaar der Oper ist bei Tenor Alfred Kim und Sopranistin Elza van den Heever in besten Kehlen. Mit enormer Präsenz macht Quinn Kelsey den Widerspruch zwischen brutalem Unterdrücker und liebendem Vater ebenso glaubhaft wie Raymond Aceto die Borniertheit des fanatischen Ideologen.

Nächste Vorstellungen: 3., 6.7.

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