Der eigenwillige Oberbürgermeister

Sünden der SPD: Wie die Sozialdemokraten einen ihrer profiliertesten und populärsten Politiker demontierten

  • Norbert Podewin
  • Lesedauer: 3 Min.

Seinen 80. am 28. Januar 1963 feierte er im kleinen Berliner Freundeskreis. Im Mai trat er seine traditionelle Kurreise ins belgische Nordseebad Knokke an. Am Abreisetag, dem 18. Juni, war er tot.

Das SPD-Organ »Berliner Stimme« veröffentlichte vier Tage später einen Nachruf, der den Höhepunkt seines politischen Lebens karg so beschrieb: »Nach den Wahlen vom 20. Oktober 1946 war er Oberbürgermeister von Berlin ... Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Oberbürgermeisters war Otto Ostrowski Präsident des Rechnungshofes von Berlin.« Ausgespart blieb, wie sich der gebürtige Spremberger, seit 1918 in der deutschen Hauptstadt kommunalpolitisch tätig, während seiner Zeit als Stadtoberhaupt vom 5. Dezember 1946 bis 17. April 1947 zum Wohle Berlins und der Berliner aufrieb. Der »Tagesspiegel« legte publizistisch eine weitere falsche Fährte: »Nach knapp fünfmonatiger Amtszeit musste Ostrowski auf Drängen seiner eigenen Partei zurücktreten, weil er - als eigenwilliger Politiker bekannt - den Kommunisten in der Frage der Zwangsvereinigung beider Parteien zur SED entgegengekommen war.« Auch hier keine Anerkennung seines partei- und sektorenübergreifenden Kampfes mit sibirischer Kälte im Winter 1946/47 in der vom Krieg gezeichneten Stadt. Die SPD hatte im Wahlkampf 18 Zentner Kohle pro Haushalt versprochen; es blieb ein Märchen. Die sowjetische Kommandantur ermöglichte für ihren Sektor den Holzeinschlag im Umland.

Um Kälte und Hunger zu bezwingen, beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Bildung eines Allparteien-Notkomitees unter der Leitung von Ostrowskis Stellvertreterin Louise Schroeder (SPD). Der OB ging aber noch einen Schritt weiter: Er traf sich am 22. Februar '47 zu einem vertraulichen Gespräch mit den SED-Funktionären Karl Litke, Hermann Matern und Karl Maron. Man vereinbarte, dass die SED strittige Posten im Magistrat sofort aufgeben werde, »wenn zwischen der SPD und SED ein gemeinsames Arbeitsprogramm während der nächsten 3 Monate zur Durchführung kommt und alle Polemiken während dieser Zeit in Presse und öffentlichen Versammlungen abgestellt werden«; öffentliche Erklärungen sollten zwischen der SED und SPD abgestimmt werden. Darüber informierte Ostrowski anderntags seine Genossen Franz Neumann und Dr. Otto Suhr: »Ich habe mir Klarheit verschafft über die Haltung der SED-Leute. An Euch ist es nun, zu ihren Ansichten Stellung zu nehmen.« Die Stellungnahme erfolgte als brüske Zurückweisung, in einem Text ohne Anrede. Parteiliche Bindungen wurden in dem 4-Punkte-Schreiben abgewiesen; Ostrowskis Absprache geriet zur Makulatur: »Verbindliche Verhandlungen werden bei uns nur vom Landesverband Groß-Berlin geführt.«

Gedrängt auch von der US-Kommandantur, die dem Oberbürgermeister unterstellte, ein »trojanisches Pferd« der Sowjets zu sein, begann nun dessen Demontage. Der SPD-Vorstand setzte auf einen Intimfeind Ostrowskis seit Mitte der 20er Jahre: Ernst Reuter. Der vielseitige parteiinterne Druck zielte auf »freiwilligen Amtsverzicht«. Da Ostrowski sich jedoch dem nicht beugte, berief seine Fraktion zum 11. April eine Abgeordnetensondersitzung ein: Der OB genieße nicht mehr das Vertrauen der Stadtverordnetenversammlung. Der Antrag verfehlte die erforderliche Mehrheit vor allem auf Grund der Verweigerung der SED-Abgeordneten. Fünf Tage später versuchte man den »freiwilligen Rücktritt« Ostrowskis mit der Zusage eines anderen hohen politischen Amtes zu erreichen, auf das Ostrowski jedoch zeitlebens vergeblich wartete.

Zur Beerdigung auf dem Friedhof Wilmersdorf wurde sein Abschiedsgruß verlesen: »Man soll das Leben nutzen, arbeiten und Gutes tun.« Ein Ehrengrab gewährte ihm der SPD-Senat unter Willy Brandt nicht. Erst seit dem Jahr 2000 gibt es im Prenzlauer Berg die »Otto-Ostrowski-Straße«.

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