Die andere Bilanz der Deutschen Bahn
Das Bündnis »Bahn für Alle« wirft im »Alternativen Geschäftsbericht« unangenehme Fragen auf
Wenn die Führung der Deutschen Bahn AG am Donnerstag die wirtschaftlichen Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr vorstellt, wird die Bilanz schöner aussehen, als sie tatsächlich ist. Das erklärte das Bündnis »Bahn für Alle« bei der Vorstellung des »Alternativen Geschäftsberichts« am Dienstag in Berlin. Der Gewinn im Personennahverkehr und im Netz werde mit öffentlichen Mitteln erreicht. Niemand bei der Bahn erkläre, was mit dem Gewinn geschieht. Die Autoren werfen eine Reihe unangenehmer Fragen auf: Werden Großprojekte wie Stuttgart 21 weiter gebaut, um wegen der Bundestagswahlen das Gesicht zu wahren, oder um sich als Global Player zu präsentieren? Welches Interesse besteht eigentlich, Fernbuslinien in Portugal oder auf dem Balkan zu betreiben, wenn es im Heimatland knirscht? Bahnchef Rüdiger Grube, so die Kritik, betreibe noch mehr als seine Vorgänger eine aggressive und extrem riskante Politik der Firmenübernahme im Ausland.
Die vermeintlichen Rekordzahlen mit 131 Millionen Fahrgästen verdecken, dass der Anteil des Schienenverkehrs am Verkehrsmarkt seit Jahren stagniert. Denn bereits 1997 hatte die Deutsche Bahn 152 Millionen Fahrgäste genannt.
Im Bündnis »Bahn für alle« haben sich 20 Initiativen und Verbände zusammengetan, die sich für eine Verkehrswende, eine konsequente Politik für die Schiene und eine kundenfreundliche Bahn einsetzen. Sie wenden sich gegen Privatisierungsbestrebungen und unsinnige Großprojekte wie Stuttgart 21. Zu den Mitgliedern zählen spezialisierte Initiativen wie »Bahn von unten« und »Bürgerbahn statt Börsenbahn«, aber auch Umweltverbände wie BUND, BBU, Grüne Liga, NaturFreunde und Robin Wood, der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland, das globalisierungskritische Netzwerk Attac und die Gewerkschaften NGG und ver.di.
Zu den Trägern des 2006 gegründeten Bündnisses zählen zudem parteinahe Jugendverbände wie die Grüne Jugend, die Jusos und solid. Nicht dabei sind hingegen die Eisenbahngewerkschaften EVG und GDL; vom Fahrgastverband Pro Bahn ist nur der Landesverband Berlin/Brandenburg Mitglied.
Als informeller Zusammenschluss hat »Bahn für alle« keinen Vorstand oder ähnliche Organe. Wichtigste Publikation ist der jährlich erscheinende Alternative Geschäftsbericht, der parallel zu den Bilanzzahlen der Deutschen Bahn veröffentlicht wird. nd
Nach wie vor benutzen 80 Prozent der Bürger für ihre Reisen den Pkw, für die Bahn blieben gerade einmal 7,5 Prozent. In diesem Zusammenhang erklärte Winfried Wolf von der Initiative »Bürgerbahn statt Börsenbahn«, die Freigabe der Fernbuslinien sei eine katastrophale Entscheidung des Bundestages gewesen, weil sich die Busunternehmer nicht jenen Gebieten zuwenden, in denen der Fernverkehr vernachlässigt wird, sondern den attraktiven Verbindungen, auf denen Bahn und Bus nunmehr Konkurrenten sind. Von einem gerechten Wettbewerb könne keine Rede sein, solange dem Fernbus nicht die von ihm verursachten externen Kosten auferlegt werden.
Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, ergänzte mit Beispielen aus Hessen, Sachsen und auch Baden-Württemberg, wie weite Regionen vom Fernverkehr abgehängt wurden. Zum Abbau der Zugverbindungen komme der Abbau des für den Kundendienst zuständigen Personals; auch der Zustand vieler Bahnhöfe sei erschreckend.
»Bahn für Alle« fordert eine Bahn, die dem Gemeinwohl und damit dem Ziel verpflichtet ist, bestmöglichen Schienenverkehr anzubieten. Die Pünktlichkeit der Züge, der Zustand der Fahrzeuge und der Bahnanlagen sowie der Umgang mit den Kunden - Stichwort: ungerechtfertigte Preissteigerungen weit über der Inflationsrate - stünden im umgekehrten Verhältnis zu dem Bild, das die Deutsche Bahn der Öffentlichkeit verkauft.
Der Börsengang mit all den negativen Auswirkungen für die Kunden und die Gesellschaft sei noch nicht vom Tisch, wurde erklärt. Sabine Leidig: »Ein Aktientausch ist möglich; der Interessent Russland wird immer wieder genannt.« Als Alternative wurde abgesehen vom üblichen Hinweis auf die vorbildliche Eisenbahn in der Schweiz auch eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn genannt: die Usedomer Bäderbahn, wo mit einem begeisterten Eisenbahner als Chef ein Fahrgastzuwachs von 300 000 im Jahr 1994 auf drei Millionen im vorigen Jahr erreicht wurde, und wo die Bahnhofsgebäude tipptopp sind und auf Fahrkartenautomaten verzichtet wird.
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