Als Mensch, als Buddhist, als Tibeter
Dalai Lama und Exilregierung versuchen, Selbstverbrennungen zu erklären
Keine Woche vergeht ohne eine neue Meldung darüber, dass sich in China - oder auch einem Nachbarland - ein Tibeter mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt hat. Nach Angaben der in Indien ansässigen tibetischen Exilregierung haben sich in den letzten Tagen erneut drei junge Mönche aus Protest gegen die Politik Pekings angezündet. Mindestens zwei von ihnen seien gestorben, hieß es. Erst Mitte Februar hatte es in Tibet und Nepal fünf ähnliche Zwischenfälle gegeben. Seit Beginn der Selbstverbrennungen im Jahre 2009 verzeichneten Aktivisten insgesamt 107 solcher Aktionen, denen mindestens 90 Menschen zum Opfer fielen.
Bei den rund 150 000 Tibetern im indischen Exil wächst mit jeder neuen Selbstverbrennung die Wut über die ihrer Meinung nach festgefahrene politische Situation in der alten Heimat, aber auch die Sorge um zurückgebliebene Freunde und Verwandte. Artikuliert wird diese Stimmung von der tibetischen Exilregierung mit Sitz im nordindischen Dharamsala.
»Wir sind Menschen und wollen nicht zusehen, wie jemand stirbt«, sagte Exilpremier Lobsang Sangay in einem Interview. »Daher haben wir wiederholt dazu aufgerufen, nicht zu drastischen Mitteln zu greifen, wozu Selbstverbrennungen gehören.« Sangay, der schon in Indien geboren wurde, an der Harvard Law School in den USA Rechtswissenschaften studiert und gelehrt hat, seit 2011 der Exilregierung in Dharamsala vorsitzt, aber noch nie selbst in Tibet war, äußerte zugleich Verständnis für die Aktionen seine Landsleute. Ursache für die Proteste seien »die fortwährende Besatzung Tibets, politische Unterdrückung, wirtschaftliche Marginalisierung und kulturelle Assimilierung« durch die chinesische Regierung. Daher trage Peking auch die politische Verantwortung für die Selbsttötungen.
Sangay fasste die zwiespältige Haltung seiner Exilregierung, die kaum Einfluss auf die Lebenswirklichkeit der Tibeter innerhalb Chinas hat, schließlich so zusammen: »Als Mensch versucht man also, sie davon (von den Selbstverbrennungen) abzubringen. Als Buddhist betet man für sie. Und als Tibeter bekundet man seine Solidarität.«
Einer allerdings hätte wohl die Autorität, den Lauf der Dinge zu beeinflussen - der Dalai Lama. Viele der buddhistischen Mönche riefen vor ihren Selbstverbrennungen den Namen ihres geistlichen Oberhaupts und forderten seine Heimkehr nach Tibet. Immer wieder wurden Klöster zu Schauplätzen für die selbstmörderischen Protestaktionen. Die chinesische Regierung leitet daraus den Vorwurf ab, der Dalai Lama selbst stifte seine Anhänger an, sich in Brand zu setzen.
In der Tat würde der Dalai Lama zu den Geschehnissen auf der anderen Seite des Himalaja-Massivs wohl lieber schweigen. Ein Grund dafür ist, dass er 2011 alle politischen und administrativen Aufgaben an Regierungschef Lobsang Sangay übertragen hat. Die Selbstverbrennungen seien ein »äußerst sensibles politisches Thema«, erklärte er gegenüber der britischen BBC. »Wenn ich mich jetzt einmischen würde, dann wäre die Übergabe der politische Macht bedeutungslos gewesen.«
Gleichwohl kommt der 14. Dalai Lama (der »ozeangleiche Lehrer«) Tendzin Gyatsho, nicht an dem Thema vorbei. »Was dort (in Tibet) passiert, treibt mir die Tränen in die Augen«, sagte er im indischen Fernsehen. »Doch die Menschen tun das nicht, weil sie betrunken sind oder familiäre Probleme haben, sondern weil sie in ständiger Angst (vor den chinesischen Behörden) leben.«
Im US-Sender NBC versuchte er sich zudem an einer ethisch-religiösen Bewertung, die einer Rechtfertigung sehr nahe kam. Selbstverbrennungen seien seiner Ansicht nach eine Form des »gewaltfreien Widerstands«. Wenn sich ein Mensch also aus »aufrichtigen Gründen« und »für das Wohl seines Volkes« opfere, könne das aus buddhistischer Sicht durchaus »positiv« bewertet werden, erklärte er. Trotzdem stimmten ihn die Verzweiflungstaten der jungen Leute »sehr, sehr traurig«. Chinas Regierung müsse daher endlich nach den wahren Ursachen der Proteste in Tibet suchen.
Die Regierung in Peking ihrerseits hält sich nicht nur den Wiederaufbau tibetischer Klöster nach der zerstörerischen »Kulturrevolution« zugute, sondern verweist auch auf die ökonomische und soziale Entwicklung Tibets, die zu höherem Lebensstandard, besserer Bildung, medizinischer Versorgung und zur »rapiden Zunahme« der tibetischen Bevölkerung geführt habe. Letzteres auch ohne den Zustrom von Han-Chinesen in die Autonome Region. Gerichte sprechen inzwischen harte Urteile gegen Tibeter aus, die beschuldigt werden, andere zur Selbstverbrennung angestiftet oder derartige Aktionen nicht verhindert zu haben.
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