Hacken für eine gerechtere Welt
Schwere Vorwürfe gegen US-Behörden nach dem Freitod des Internet-Aktivisten Aaron Swartz
Die Nachricht verbreitete sich am Wochenende wie ein Lauffeuer, nicht nur in der Online-Welt. Der Hacker Aaron Swartz, treibende Kraft für den freien Zugang zu Informationen im Internet, hatte sich am Freitag in seiner Brooklyner Wohnung erhängt. Die Bundesbehörden hatten ihn im Visier. Dem 26-Jährigen, der an Depressionen litt, drohten jahrzehntelange Haft und eine gigantische Geldstrafe. Der Prozess sollte am 1. April beginnen. Der engste Familienkreis - Eltern, die beiden jüngeren Brüder, die Lebenspartnerin - hatten schon am Wochenende mit einer öffentlichen Erklärung auf seine Lebensumstände verwiesen: »Aarons Streben nach sozialer Gerechtigkeit war tiefgründig und definierte sein Leben«, hieß es da. »Er trug entscheidend zur Niederlage für ein Internet-Zensurgesetz bei. Er kämpfte für ein demokratischeres, offeneres und durchschaubareres politisches System«. Sein Tod sei nicht einfach eine persönliche Tragödie, sondern »das Produkt eines Strafrechtssystems voller Einschüchterung und staatsanwaltschaftlichen Übereifers«. Staatsbeamte und Universitätsangestellte seien »mitverantwortlich«.
Der gut aussehende Aaron mit dem oft zerzausten Haar und gewinnenden Lächeln war vor allem der jungen Generation in den USA und darüber hinaus kein Unbekannter. Denn wer schon als Kind mit dem Internet aufgewachsen ist und sich ein wenig mit der Politik und den technischen Möglichkeiten des WWW befasst hat, dem ist der Name des jungen Mannes nicht entgangen. Schon mit 14 Jahren war er als neugieriger Teeanger daran beteiligt, den technischen Standard RSS (»Really Simple Syndication«) mitzuschreiben, eine Art Gratis-Nachrichtenticker mit Updates von Webseiten. Sein Vater, Erfinder eines IBM-Betriebssystems, hätte seinen Sohn gern an der kalifornischen Eliteuniversität Stanford gesehen, doch der brach das Studium nach einem Jahr ab, um eigene Wege zu gehen. Seit über einer Dekade gehörte der Programmierer zu den festen Größen in der Netzwelt.
Vor sechs Jahren stieß er zu den Gründern der Social-News-Webseite Reddit und half, die Seite zu verfeinern. Darauf geben Nutzer Hinweise auf Interessantes und Lesenswertes. Durch sein kurzes Leben zog sich die Überzeugung, Informationen müssten allen frei zugänglich sein. Er arbeitete an dem Lizenzmodell »Creative Commons«. Mit der gemeinnützigen Organisation können Autoren von Text, Bild und Ton der Öffentlichkeit Nutzungsrechte einräumen. Das Wunderkind des Internets verstand sich aber auch als Einzelkämpfer, als eigene virtuelle Befreiungsbewegung.
So hackte sich Swartz - illegal - in die Justizdatenbank Pacer ein, »befreite« sie und stellte die Dateien nach Umgehung der Bezahlschranke ins Internet. Vor zwei Jahren folgten fast fünf Millionen wissenschaftlicher Artikel der digitalen Bibliothek JSTOR. Der dafür ins Bostoner Massachusetts Institute of Technology (MIT) eingeschmuggelte Laptop wurde ihm zum Verhängnis. Denn obwohl das MIT nach längerem Zögern von einer Klage absah, ließ das FBI, das sich an die Fersen von Swartz gehängt hatte, nicht ab. Die Justiz wollte ihn unbedingt hinter Gitter bringen, unter anderem wegen Betrugs und Datendiebstahls in besonders schweren Fällen.
Laut seinen Anwälten hätte Aaron Swartz mit einer drakonischen Gefängnisstrafe von bis zu 35 Jahren und einer Strafzahlung von einer Million Dollar rechnen müssen. Die Vorwürfe seien »außerordentlich harsch« gewesen für »eine Straftat ohne Opfer«, kritisierten die Angehörigen in ihrer Erklärung. Die Reaktionen der Netzgemeinde reichen von Betroffenheit über Empörung bis hin zur Ankündigung von Rache. Das Hackerkollektiv »Anonymous« geißelte in einer Online-Erklärung die Klage als »groteske Verdrehung der Justiz« und legte mehrere MIT-Webseiten lahm.
Aus Solidarität und zum Gedenken an Aaron Swartz stellten am Sonntag und Montag Hunderte von Wissenschaftlern ihre Forschungsberichte über den Nachrichtendienst Twitter unter dem hashtag pdftribute online. MIT-Präsident Rafael Reif versprach eine umfassende Untersuchung und brachte sein Beileid zum Ausdruck. Während das US-Justizministerium und das FBI Kommentare ablehnten, ließ die Staatsanwaltschaft von Massachusetts sämtliche Anklagepunkte gegen Swartz am Montag einfach fallen - so, als wäre nichts gewesen.
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