Allein in der Box

Die Kunstwerke KW laden zum Einzeldialog mit Installation und Aktion

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Traum hatte man schon mehrfach: Wie, wenn man ganz allein die Museen der Welt - Louvre, Eremitage, Uffizien - besichtigen dürfte! Würden dann die Kunstwerke anders zu einem sprechen, als wenn man nur dicht gedrängt in der Masse vorwärts geschoben wird, lediglich einen kurzen Blick auf die Exponate erhaschen kann? Im Kleinen darf man das gegenwärtig in den Kunstwerken an der Auguststraße testen. Fünf Etagen Ausstellungsfläche hat man dort 17 internationalen Künstlern mit einem halben Jahrhundert Altersdifferenz zur Verfügung gestellt, ihnen für ihre zumeist neuen Arbeiten im Maß verschiedene weiße Boxen gebaut. Hinein darf jeweils nur eine Person, deren Stoppschild an der Tür die nächsten potenziellen Betrachter so lange warten lässt, bis der individuelle Dialog mit dem Exponat beendet ist.

Die Halle im Untergeschoss gehört dem weltweit agierenden Polen Robert Kusmirowski. Seine Installation »Lichtung« formt aus bereits anderweitig verwendeten Materialien, synthetisch oder organisch, einen grasüberzogenen Hügel, umringt von Sand und bestanden mit Birken, Nadelbäumchen, Buschwerk. Mittelblau getüncht sind die Wände dieses scheinbar romantischen Ortes mit dem Duft nach Natur. Geht man jedoch hinter den Hügel, liegen dort mit besudelter Kleidung zu einer Art Moorleichen verhüllte Plastikskelette. Eine unerwartet dramatische Wendung inmitten des genossenen Friedens, die den Betrachter erregt, zumindest verblüfft. Auf verschiedene Weisen von Anteilnahme zielen auch die weiteren Arbeiten. In seiner Videoinstallation appelliert der Kanadier Jeremy Shaw an unsere Speicherpersönlichkeit, mit säuselnder Stimme, sphärischen Klängen, elektronisch pulsenden Hirnprojektionen, stroboskopischen Effekten. An den aus Leipzig stammenden, 1977 jung verstorbenen Blinky Palermo erinnert eine Box mit hoch oben angebrachter ovaler »Grauer Scheibe«, direkt über der Tür und erst beim Austritt sichtbar. Beinah gemütlich ist es in der beigefarbenen Küche der deutschen Gruppe FORT. Durch eine abgewetzt alte Glastür tritt man ein, bei wohliger Temperatur steht auf meliertem Linoleum ein angeschlossener, doch leerer Kühlschrank, »The Charmer«, außermittig am hinteren Ende des länglichen Raums. Stille bis aufs Kühlgeräusch.

Auch »Light Presence« der Polin Alicja Kwade erreicht man durch eine doppelte Tür. Nichts befindet sich in der Box als eine angestrahlte Wanduhr, die sich raffiniert sekundenkurz im Gegenuhrzeigersinn dreht, weshalb der Sekundenzeiger stets auf »12« bleibt. Zur virtuellen Kochshow »Potato Potato« lädt die Dänin Nina Beier: In einem LCD Elektrokamin, wie er in Hotels Feuer simuliert, brutzelt die Vision einer Kartoffel vor sich hin. Auf rotem Teppich begeht man die L-förmige Vitrine, die der Kanadier Geoffrey Farmer mit einer künstlichen Palme hinter Glas und auf Konsolen platzierten Faltfiguren gefüllt hat. Ganz gruselig wird es beim Amerikaner Joe Coleman: Im engen Pavillon sitzt jemand abgewandt vom Gast und bemalt Miniaturen bunt, bis ein Kurzfilm blutige Szenen eines exorzistischen Rituals zeigt. Realer geht es im Video des Wuppertalers Tobias Zielony zu. Es bebildert die Aussage zweier rauchender Prostituierter, ein verheirateter Kunde habe sich unsterblich verliebt, wolle sich, abgewiesen, das Leben nehmen, habe die Angebetete rüde mit dem Messer bedroht und Abschiedsbriefe überreicht. »Der ist irre«, lautet der Kommentar der Drogensüchtigen.

Witzig fällt Hans-Peter Feldmanns »One on one« aus. Auf weißem Podest thront ein offener Kasten voller Milky Ways; kategorisch »NEIN« lautet ein Messingschild darunter. Brav geht man, ohne sich zu bedienen. Älteste Künstlerin ist mit Jahrgang 1933 Yoko Ono, die ihr weißes Telefon ohne Box präsentiert, darauf schon selbst angerufen haben soll. Durch das Fernrohr, das Anri Sala aus Albanien in ihrer Boxenwand installiert hat, blickt man in den Nachbarraum, wird neugierig und dort reich belohnt. Auf silbriger Rundumtapete und hinter Glas fächert Günter K. das Leben von »Margret« auf: mit Archivalien aus deren Privatbesitz 1969/70, Fotos in Unterwäsche mit toupiertem Haar, eng betippte Karteikarten mit selbst erotischen Details, Ansichtskarten, Billetts, Haarproben, Rechnungen; eine ganz »normale« Existenz mit manischer Sammelwut und möglicherweise gerade deswegen so spannend, dass man sich gern festliest.

Am Ende des Parcours muss der Betrachter selbst entscheiden, welchem Exponat er das Gütesiegel »Kunst« aufprägt und welchem er es verweigert. Lang muss man vor mancher Box anstehen, kommt mit Anderen aus der Wartegemeinschaft ins Gespräch. Vielleicht ist dieser kommunikative Aspekt ja der Hauptgewinn der Schau.

Bis 20.1., KW Institute for Contemporary Art, Auguststr. 69, Mitte, Telefon 243 45 90

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