Weil es ihn verändert

Mal ging es um ihre Befreiung, mal um die Befreiung von ihr: die Linke und die Liebe

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Es war der 11. Mai 1846 und die Männerrunde, die an diesem Tag in Brüssel zusammenkam, hatte Wichtiges zu besprechen. Das Wort führte ein 28-Jähriger namens Karl Marx, mit dabei waren dessen um zwei Jahre jüngerer Freund Friedrich Engels und andere aus der Szene der Kommunisten, einer politischen Bewegung, die gerade einigermaßen in Mode zu kommen schien. Sogar im fernen New York, wo ein gewisser Hermann Kriege mit dem »Volks-Tribun« die Ideen des »Bundes der Gerechten« voranbrachte. Was die Männerrunde in Brüssel allerdings anders sah.

»Verwandlung des Kommunismus in Liebesduselei«, urteilten Marx und Co. über den Kollegen, Kriege habe »phantastische Gemütsschwärmerei« gepredigt, was »demoralisierend auf die Arbeiter wirken« müsse, mehr noch: eine »entnervende Wirkung auf beide Geschlechter« entfalten vor allem aber »massenweise Hysterie und Bleichsucht« bei den Jungfrauen hervorrufe. Einzig Wilhelm Weitling stimmte an jenem Maitag des Jahres 1846 gegen die Linie des Kommunistischen Korrespondenz-Komitees zu Brüssel.

Liebesduselei? Hermann Kriege wurde »schlecht gezählt« vorgerechnet, in der ersten Ausgabe des »Volks-Tribun« die Liebe in »fünfunddreißig Gestalten« aufgeführt und damit den großen, hehren Kommunismus auf einen »liebevollen Gegensatz des Egoismus« herabgewürdigt zu haben. Nun ist wenig gegen das Argument zu sagen, einer eigentlich revolutionären Idee komme es wenig zugute, wenn sie bloß als »Erfüllung« der »bestehenden schlechten Verhältnisse und der Illusionen, die sich die Bourgeois darüber machen« propagiert wird. Allerdings konnte der tribunalhafte Ernst, mit dem die Brüsseler Runde vorging, bereits erahnen lassen, dass es mit der Linken und der Liebe wohl auch jenseits von Blattkritiken keine einfache Sache werden würden. Man kann heute soweit gehen, zu sagen: Linkssein gibt es nicht ohne Schwierigkeiten mit der Liebe - weil die Linken es sich mit ihr nicht einfach machen. Nicht einfach machen können.

Denn es ist ja wahr, die Liebe, das tritt uns als das Ideologische, das »gesellschaftlich Gemachte« gegenüber. Sie ist unser schönster und schrecklichster Selbstbetrug zugleich: ein Vorstellungs- und Erwartungskomplex, der mit der bürgerlichen Familienordnung eng verbunden ist und sich als Kriterium der Partnerwahl in allen Klassen durchgesetzt hat, mithin Ideologie, weil sie, die Liebe, die materiellen Grenzen der realen Welt doch nicht überwinden kann. Sie ist herabgewürdigt worden zur Vaterlandsliebe, sie ist omnipräsenter Weichzeichner zu Verkaufszwecken (»Ich liebe es«, wirbt ein globaler Bulettenbrater), von der wahren Liebe bis zur Ware Liebe ist es nicht weit und in der Liebe zwischen Zweien steckt der Keim einer großen Dummheit, nämlich einen anderen nur für sich »haben« zu wollen. In der Liebe liegen Besitzanspruch und Freiheitsidee gefährlich eng beieinander, sie ist so individuell - und kann doch nur kollektiv erfüllt werden.

Von Liebesduselei und Gefühlssozialisten

Wie soll man da keine Zweifel haben, an einem Gefühl, das doch angeblich so gut tun soll? Einerseits. Andererseits wird jeder, dem sie einmal wirklich widerfuhr, in der Bedingungslosigkeit der Liebe auch jene große Kraft erkannt haben, mit der sich Verhältnisse überhaupt erst umstürzen lassen. Ludwig Feuerbach hat die Liebe etwas genannt, was der Mensch nicht hat, sondern was er ist. Ohne sie ist der Mensch nichts und so wäre die Liebe, ließe sie sich von allem befreien, das erfüllte Gattungsversprechen, der letzte Sinn, die größte aller Möglichkeiten - oder, wie es der schon angesprochene Marx zwei Jahre vor seiner Brüsseler Schimpferei über die »Liebesduselei« formulierte: Etwas, das nur gegen sich selbst tauschbar wäre, wenn man »den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches« voraussetzte.

Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Auch wenn ein Stück bereits hinter uns liegt.Ganz am Anfang, als sich Menschen aufmachten, ihn in Richtung eines utopischen Sozialismus zu gehen, geriet die Liebe einem Tommaso Campanella in seinem »Sonnenstaat« noch zum Amtsbereich politischer Bürokratie, in dem »vor allem das Zeugungsgeschäft« zu betreuen war. August Bebel kam zunächst auch mehr aufs Fleischliche, beschied 1881 aber immerhin, »die Befriedigung des Geschlechtstriebes« sei »jedes einzelnen persönliche Sache«. Später schrieb Rosa Luxemburg an Sonja Zetkin, die Liebe »an sich« sei ihr heiliger als der Gegenstand, der zu ihr anregt, »weil sie ermöglicht, im Rausch, in Ekstase zu leben«.

So blieb es für die Linken - zur Liebe pflegte sie ein widersprüchliches Verhältnis. Sie musste ja! Denn mal ging es um ihre Befreiung und mal um die Befreiung von ihr. Wenn die Kommune I nichts weniger als die Auflösung »der privaten Liebesverhältnisse« zu ihrer Parole machte, dann deshalb, weil es dafür diskussionswürdige Gründe gab - und genauso miserable. Vielleicht ist es ja so: Im Selbstanspruch, die Welt zu erkennen, um sie zu verändern, liegt eine Festlegung aufs Rationale - mit bloßer Schwärmerei und Hingabe wird sich nicht einmal die Sozialversicherung reformieren geschweige denn eine Gesellschaft vom Kopf auf die Füße stellen lassen. Deshalb die Rede von den »Gefühlssozialisten«, die zwar daran glauben, dass jene ganz andere Welt möglich ist, die aber den Rest angeblich nicht begriffen haben: Wie war das mit Wertform, Verblendungszusammenhang und so fort?

Wir reden lieber von »Beziehungen«

Wenn aber das Irrationale, der bloße Wunsch, der Glaube, das nur sehnsüchtig Erhoffte aber nicht vernünftig Erkannte von Linken zurückgewiesen wird, gerät auch die Liebe an den Rand der Zumutbarkeit. Wir reden heute lieber von »Beziehungen«, wir verweisen auf gesellschaftliche Gründe, verstecken uns hinter der Losung individueller Unabhängigkeit, haben das Private so gründlich zum Politischen gemacht. An ihrer Ikone Che Guevara haben die meisten Linken alles Mögliche verehrt, am wenigsten jedoch, dass er die Liebe als »das wichtigste Gefühl des Revolutionärs« bezeichnet hatte: »Weil es ihn selbst verändert.«

»Es wäre doch gar nicht schlecht«, hat Oskar Lafontaine einmal gesagt, »wenn das Wort Liebe zumindest einmal in einem Grundsatzprogramm irgendeiner Partei auftaucht«. Im Programm der Linkspartei jedenfalls kommt es nicht vor - da wird nur an ein »friedliebendes« Land erinnert (es ist die DDR gemeint) und die »Nächstenliebe« im Abschnitt zu den Kirchen untergebracht.

Nun: Der Gedanke, ausgerechnet die Linke, von der nicht ganz zu Unrecht behauptet wird, es gebe sie vor allem im Aggregatzustand des Streits, der Nicht-Liebe sozusagen, müsste die Liebe auf einen programmatischen Nenner bringen, hat etwas liebevoll Amüsantes. Was würde geschehen? Fundis aus dem Westen würden Realos aus dem Osten vorwerfen, ja doch nur der Ämter wegen von Liebe zu reden; was umgehend mit der Erklärung beantwortet würde, radikale Liebes-Rhetorik allein mache noch kein wirkliches Gefühl. Und die Erfahrungsvorsprünge erst, die da ins Feld geführt würden! Am Ende stünde ein nach allen Regeln der Flügelkunst ausquotierter Kompromiss, dem aus Vernunftgründen zugestimmt wird. Aber nicht aus Liebe.

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Am Ende bin ich nur ich selbst
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