Früher war mehr Lametta!

Weihnachten - das sind vor allem Erinnerungen an die Kindheit, an Geborgenheit in der Familie, an verführerische Düfte, an Gänsebraten, Plätzchen und Stollen, an Geschenke und an Geschichten, die Vater vorlas. Und an den Morgen des Heiligen Abends, an dem Mutter traditionell in der Küche den Festtagsbraten zubereitete und Vater mit uns Kindern den Baum schmückte. In jedem Jahr gab es dabei erneut großes Staunen darüber, wie aus einer Krücke ein prachtvolles Schmuckstück wurde. Lametta spielte dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle, das nach dem Fest Faden für Faden wieder abgenommen und fein säuberlich in der großen Kiste verstaut wurde, um ein Jahr später den nächsten Baumkrüppel zu verwandeln.

In der Erinnerung sah es Weihnachten immer gleich aus, betrachtet man sich aber die etwa 90 Fotos aus den Jahren zwischen 1910 und 1980, die der Leipziger Lehmstedt-Verlag gerade als ein Buch herausgegeben hat, merkt man deutlich, wie sehr sich das Fest verändert hat. Sieht man auf den Bildern von vor 100 Jahren die (heile) Familie im besten Zwirn feierlich um den Weihnachtsbaum »drapiert«, schockiert ein paar Seiten weiter eine Aufnahme aus dem Jahr 1941 - eine festlich geschmückte Tafel in einer Exerzierhalle der SS in Form eines Hakenkreuzes. Von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft hingegen erzählt der weihnachtliche Umzug durch die Ruinen von Dresden, Brote statt Stollen dominieren auf einem anderen Foto. Beide entstanden 1945. Ganz anders die Bilder aus den 60er bis 80er Jahren, die eine Menge über das Leben in der DDR erzählen. Und endlich, da ist auch das Foto mit dem Mann, der eine der Krücken nach Hause trägt, die dann mit vielen bunten Kugeln und noch mehr Lametta aufgehübscht wurde. Lieber Opa Hoppenstedt, Du hattest Recht: Früher war wirklich viel mehr Lametta!

Das Buch nimmt einen mit auf eine besondere Zeitreise, erzählt vom kleinen Glück und großen Hoffnungen und auch von einem Stück heiler Welt in nicht immer guten Zeiten.

»Weihnachtsbilder - Fotografien 1910-1980«, Lehmstedt-Verlag Leipzig, 14,90 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!

Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft