Großer Mann, verquere Welt
Im Schlosspark Theater regiert »Der kleine König Dezember«
So leise ging es selten auf der Szene des Schlosspark Theaters zu. So poetisch auch nicht. Und das, obwohl die Gastproduktion der Drehbühne Berlin unter keinem guten Stern stand. Wenige Tage vor der Premiere verstarb mit Dirk Bach der Titelheld und Handlungsträger für Lorenz Christian Köhlers Inszenierung »Der kleine König Dezember«. Sie holt die Geschichte, wie sie Axel Hacke 1993 als Buch publizierte, ins Theater und versucht, ihren Zauber durch das Miteinander von Live-Aktion, Videoeinblendung, einmal sogar Puppenspiel einzufangen. Entzündet hat sich jener Zauber an Antoine de Saint-Éxuperys Jahrhundertwurf »Der kleine Prinz« und spinnt sich auf anderer Ebene weiter. Möglich wurde die verspätete Premiere dank Gustav Peter Wöhler, der extrem kurzfristig in den Part seines unerwartet abberufenen Kollegen einsprang. Ein Fünkchen guter Stern leuchtete eben doch über dem Abend.
Leis verlief er nicht nur wegen der tragischen Begleitumstände. Den Pegel gibt Hackes literarische Basis vor, die eher geschriebenes Denkexperiment ist als actionpralles Theater. Da will sich einer, melancholisch sanft gespielt von Matthias Freihof, eben am Telefonkabel erhängen, als es schellt: Jemand erbittet sich kurioserweise ein Gummibärchen und rettet so Leben. Aus einem Stapel riesiger Bücher klettert dieser Jemand hervor und führt sich als kleiner König ein. In der Schublade des Zimmers, das Antje Johnigk so schräg anlegt wie die aus den Fugen geratene Weltsicht des großen Mannes, lebt er Kleine mitsamt Krone und Purpurmantel. Damit die Größendifferenz gewahrt bleibt, taucht der Große zunächst per Video auf. Der König sieht dagegen ganz schön klein aus, doch was er aus seinem Reich berichtet, klingt groß und stellt die Menschenwelt auf den Kopf. In seinem Land wird man erwachsen und wissend geboren, schrumpft mit der Zeit, bis man unsichtbar ist, schließlich ein Stern wird. Zur Welt kommt man, indem die Eltern sich fest umarmen, per Trampolin gen Himmel fliegen und sich einen Stern herabholen. Der ist am nächsten Morgen das erwachsene »Kind«. Mit dem Alter vergisst es sein Wissen und darf dann zu Hause bleiben, um noch mehr zu vergessen und Zeit für die wichtigen Dinge zu haben. Dies nennt sich »Kindheit«, und darauf freut sich der kleine König schon.
Denn nicht bloß er, nein, auch sein Haus wird müd und schrumpft mit der Zeit. Platz ist kaum noch für die Schachteln, in denen er seine Träume aufbewahrt, aber die werden nicht kleiner. Wenn all das den Großen schon erstaunt, wird es noch wunderlicher. Denn er soll von seinen Träumen erzählen: Wie er über einen See gerudert ist und sich selbst beobachten konnte, Düsenjägerpilot sein wollte. Das spielt der Kleine mit ihm, holt ihn von der Leinwand real in die Welt und fragt ihn über seinen Beruf aus. Was den Großen anödet, sein Büroalltag, kommentiert der König umstürzlerisch: Im Büro träumt man zu sein, nachts ist man; vielleicht ist der Tag nur ein Traum, Traum die Wirklichkeit. Und vielleicht ist ja der Ring um die Brust, den man beim Gang zur Arbeit verspürt, der Drache, der den Menschen aufhalten will, das zu tun, was er ungern tut. Ich wär gern wie du, seufzt der Große. Du wirst es als Kind, tröstet der Kleine mit seiner Weisheit.
So steht das Leben des Großen bald verquer, weil er hinter den Wänden sucht, was sich der Kleine vorstellen kann. Für den Bilderhaber malt der König eine grüne Krone, erhält dafür ein Gummibärchen; das Zimmer des Bilderhabers ist wie ein Kopf, dort verwahrt er seine Schätze. Ums Glücklichsein dreht sich der Disput zwischen König und Mann, um unsere Endlichkeit und die Fantasie, die man wie ein Lebensmittel braucht. Als sich der Kleine ins Universum auflöst, blickt ihm der Große nach und legt seinen Arm um das verbliebene Gummibärchen. Der Appell, die kindlichen Träume nicht zu vergessen, geht jeden an. Wöhler spricht ihn, wie er die gesamte Rolle anlegt: erwachsener, als es der Comedian Bach gewesen wäre, und altersweise hin auf dem Weg zum Kind im Sinn des kleinen Königs.
Als gute Fee schwebt kurz Dirk Bach leibhaftig und launig über die Leinwand und dann wohl unsichtbar stücklang über einer die zarteren Saiten anrührenden Inszenierung.
Wieder 21.-23.+30.11., 1.-4., 20.-22.12., Schlosspark Theater, Schloßstr. 48, Tel.: 78 95 66 71 00
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