Die Wut des Renegaten
Manuel Vázquez Montalbán: »Das Quartett«, ein bissiger kleiner Roman
Nanu, das Buch gab es doch schon mal? 1998 erschien eine Übersetzung bei Wagenbach, 2002 bei dtv. Nun kommt sie noch einmal, im Text unverändert. »Das machen wir schon immer so«, schreibt die Pressedame von Wagenbach. Mehr als die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet der Berliner Verlag mit Backlist-Titeln. »Wir machen aus Prinzip haltbare Bücher!« Gut so. Denn aus diesem Grund bekommt der Leser ein Kleinod von 1988 wieder zu Gesicht, »Das Quartett« von Manuel Vázquez Montalbán.
Montalbán, 1939 in Barcelona geboren, gestorben 2003 in Bangkok, war ein Erzähler mit starkem Spieltrieb; er war auch Lyriker, Essayist, war Ex-Kommunist, blieb ein nostalgischer Linker und ein Gourmet. Über hundert Bücher hat der Spanier geschrieben, darunter zwei Kochbücher. Vor allem die Krimi-Reihe um Privatdetektiv Pepe Carvalho wurde populär.
»Das Quartett« - an der Oberfläche ist auch dies ein Krimi. Die Protagonisten: zwei Paare der Oberschicht, Ende dreißig, schön, kultiviert und sonderbar. Kunsthistorikerin Carlota und Ehemann Luis handeln mit Antiquitäten; der Beau Modolell arbeitet als Architekt, Pepa, einst Studienkollegin von Carlota, gibt schlicht die Diva. Das Quartett ist eigentlich ein Quintett. Der Ich-Erzähler gehört dazu, Señor Ventós, ein Innenausstatter, seit dem Tod der Mutter allein. Ein dekadenter Feingeist, etwas zwielichtig. »Ich bin nicht der, der ich zu sein scheine« - das Lebensmotto hat er bei Max Frisch entlehnt. Ventós ist väterlicher Freund, auch Shopping- und Reisebegleiter der verwöhnten Jungen. Man lernte sich vor zehn Jahren in Luxor kennen.
Die vier leben sorglos dahin, dann, Schock: Carlota liegt eines Tages tot auf dem Landgut ihrer Eltern. Ertrank sie im Teich? Ein Kommissar ermittelt; damit beginnt der kleine Roman. Wer ist der Mörder? Ehemann Luis? Ihr Liebhaber Modolell? Freundin Pepa? Der Ich-Erzähler gar?
Beiläufig erzählt Vázquez Montalbán seinen Krimi, im Stil knapp, gemein, präzise. Wichtiger als die Handlung: die Charakterstudien mit Röntgenblick; das Bekenntnis zur Sinneslust; das Spiel mit Ironie und Melancholie; das Bild einer selbstverliebten und vergesslichen Gesellschaft.
Charakter: Das Quartett wirkte harmonisch, makellos; der Todesfall offenbart die Risse. Die Gesellschaft: Montalbán porträtiert das Quartett als typische Vertreter der spanischen Elite; sie haben sich einst mit der Diktatur arrangiert, sie haben die Erinnerung an die Franco-Zeit nun glücklich gelöscht. Keine Schuldkomplexe.
Spät erfahren wir: Ventós, ebenfalls aus wohlhabender Familie, hatte sich in den frühen Siebzigern gegen Franco engagiert, dann aber von den Genossen losgesagt. Polizisten, die ihn verhaften kamen, empfing er damals mit Bademantel und Champagnerglas. Was für ein Glück, denkt er heute, dass es rechte Polizisten waren. Denn, ein großartig zynischer Satz: »Die Rechte respektiert die Bademäntel und Champagner viel eher als die Linke.« Ventós' Verachtung für die vier Opportunisten, das spüren wir, entspringt der Wut, dem Hass des Renegaten auf den eigenen Opportunismus.
Barocke Sinneslust, grell und vulgär: Modolell erscheint dem schwulen Ventós als Märchenprinz, ein griechischer Athlet, der Haarschopf »wie flüssiges Gold«. (Bei Montalbán ist das kein Kitsch, sondern Hedonismus.) Carlota hatte einen Botticelli-Körper, so schwärmt der Erzähler, sie war »ein präraffaelitischer Akt in den Malvenfarben der vorgerückten Abenddämmerung«. Pepa hingegen glich »einer Yankeehure der Zwischenkriegszeit«.
Der Kurzroman zeigt reichlich bizarre Eigenheiten. Die sprunghafte Erzählweise mit wirrem Wechsel zwischen Präsens und Imperfekt. Die gestelzte Wortwahl. Die überhobenen Bilder. Das Chaos an Impressionen, als sei ein Spiegel zersplittert. Die Arroganz des Bildungsbürgers - dutzendfach brilliert das Ich mit Verweisen auf die Kunstgeschichte. Diese Eigenheiten sind gewiss nicht jedermanns Geschmack. Wer aber keinen geradlinigen Krimi erwartet, wer Bosheit und Spielwut zu schätzen weiß, wird sich prächtig unterhalten.
Manuel Vázquez Montalbán: Das Quartett. Roman. Aus dem Spanischen von Theres Moser. Wagenbach. 90 S., brosch., 8,90 €.
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