»Moskau trieb doppeltes Spiel mit der DDR«

Herbert Häber im Strafprozess um Mauertote über seine Motive für deutsch-deutsche Entspannung

Am Landgericht Berlin begann gestern die Neuauflage des Prozesses gegen Prof. Herbert Häber, dem die Anklage Totschlag, begangen 1984 an einem DDR-Flüchtling, vorwirft. Zum Auftakt schilderte der SED-Westexperte, was sein politisches Handeln bestimmt hat - und wie eng dessen Grenzen waren.

Das Publikum, das vorm Saal B129 auf Einlass wartete, war gemischter als sonst bei Prozessen gegen DDR-Spitzenfunktionäre. Da war der beim ersten Anlauf des 2. Politbüroprozesses mit Häber angeklagte - und freigesprochene - Siegfried Lorenz gekommen, aber auch Hans Otto Bräutigam, als Ständiger Vertreter der BRD in der DDR enger Kontaktpartner des Angeklagten, der eine US-Professorin mitbrachte, die sich sehr für DDR-Geschichte interessiert. Da waren einstige Genossen Häbers, die sich heute in der GRH um Unterstützung für Opfer dieser Art Justiz bemühen, aber auch ein früherer Korrespondent der »Frankfurter Allgemeinen« in der DDR, der Häber 1984 nach seiner Wahl zum Mitglied des SED-Politbüros in seiner Zeitung als »sachkundig, undogmatisch und offen« pries. Dass der heute 73-Jährige nicht in Klischees von »Politbürokraten« passt, zeigte auch seine Antwort auf die Frage der Vorsitzenden Richterin der 40. Großen Strafkammer, Gabriele Strobel, nach seinem Beruf: Hilfsarbeiter sagt er, ergänzt dann, er habe als Redakteur gearbeitet. »Also Journalist«, wiederholte die Richterin, verfehlte aber damit meilenweit jenen Typ Funktionär, dessen Kenntnisse, Urteile und schließlich auch politischen Ziele Ergebnis von Jahrzehnten praktischen politischen Agierens, nicht zuletzt in Hunderten Gesprächen mit - »befreundeten« wie »gegnerischen« - Politikern sind. Umso absurder wirkte, dass Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz gestern erneut wie vor vier Jahren die ersten 23 der 1245 Seiten Anklageschrift von 1996 vorlas, die Häber und seinen künftig nun ohne Begründung »gesondert verfolgten« Mitangeklagten vorwirft, »Menschen getötet zu haben ohne Mörder zu sein«. Obwohl es keinerlei Beweis dafür gibt, behauptet Jahntz, sie seien »entscheidend« an der Aufrechterhaltung des Grenzregimes zur BRD und Westberlin beteiligt gewesen und hätten »die Tötung Fluchtwilliger durch Schusswaffengebrauch der Grenzposten zumindest billigend in Kauf« genommen. Anschließend wurde das Urteil des Bundesgerichtshofs vom November 2002 verlesen, das den Freispruch der 32. Strafkammer des Berliner Landgerichts für alle drei Angeklagten vom Juli 2000 aufhob und sich in rechtstheoretischen Erörterungen über »Organisationsherrschaft« von Politbüromitgliedern sowie »Quasi-Kausalität« ihnen vorgeworfenen Unterlassens für Tote an der Mauer erging. Etwas reales Leben kam in den Gerichtssaal erst mit der persönlichen Erklärung Häbers zurück. Er sprach davon, wie er als Schulkind den Bombenkrieg erlebte, im Mai 1945 erleichtert war: »Der Krieg ist aus! Nie wieder Krieg!« Dies und die Erfahrung, was Hunger und was materielle Not bedeuten, seien die Gründe für sein »frühes politisches Engagement«. Seit Januar 1951 als Mitarbeiter des ZK der SED mit der BRD befasst, hätten bei ihm Erkenntnisse zu reifen begonnen, die für sein späteres Handeln bestimmend wurden: »Wirtschaftswunder« im Westen und Demontage hunderter Betriebe im Osten für Reparationen an die Sowjetunion hätten ihn, so Häber, ahnen lassen: »Die DDR würde langfristig nur überleben können an der Seite der Bundesrepublik.« Und: »Mir wurde immer klarer, dass die sowjetische Führung mit der DDR ein doppeltes Spiel trieb.« Einerseits »brüderliche Treueschwüre«, andererseits war die DDR Glacis für imperiale Ziele der UdSSR in Europa: Einen »sozialistischen Bruderbund« habe es nicht gegeben. »So ging mein Bestreben seit langem dahin, das mir Mögliche zu tun, um die sowjetische Umklammerung zu lockern und das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten zum Nutzen der Menschen friedlich und human zu gestalten«, sagte Häber. Ihm sei es darum gegangen, »Regelungen zu erreichen, damit niemand mehr über einen Zaun oder über eine Mauer klettern musste, um von seinem Anspruch auf Freizügigkeit Gebrauch machen zu können«. Das war den Hardlinern in Moskau und Berlin zu viel. Honecker verkündete Häber knapp 16 Monate nach seiner Wahl den Rauswurf aus...

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