Trauer um Santiago Carrillo
Veteran der Linken Spaniens 97-jährig verstorben
Schon am frühen Mittwoch öffnete das Gewerkschaftshaus in Madrid, in dem die Arbeiterkommissionen (CCOO) ihren Sitz haben, seine Tore, um Trauernden die Möglichkeit zu geben, sich von Santiago Carrillo zu verabschieden. Der ehemalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) war am Dienstag, 97-jährig, aus dem Mittagsschlaf nicht mehr aufgewacht. Zwar wusste man um seine gesundheitlichen Probleme, dennoch überraschte sein Tod viele. Denn bis zuletzt hatte sich Carrillo in die politischen Debatten eingemischt. Jedes Jahr veröffentlichte er ein Buch, zuletzt den Band »Gegen den Strom schwimmend«, ein aussagekräftiges Lebensresümee.
Der Kommunist Carrillo, der nach dem Sieg der Anhänger General Francos im Bürgerkrieg 38 Jahre im Exil verbringen musste, wird nach seinem Tod in allen politischen Lagern gelobt. Auch König Juan Carlos hob seine »zentrale Rolle im Übergang« von der Diktatur zur Demokratie hervor. Carrillo, seit 1960 PCE-Generalsekretär, hatte in der Linken durchgesetzt, dass der von Franco 1975 als Nachfolger bestimmte Monarch durch die neue Verfassung abgesichert wurde. Selbst die regierende rechte Volkspartei (PP), von ehemaligen Ministern der Diktatur gegründet, würdigte seine Verdienste. Ministerpräsident Mariano Rajoy erwähnte den Beitrag Carrillos »zur verfassungsmäßigen Ordnung und dem neuen Rahmen des Zusammenlebens«.
Das von der PCE geführte Bündnis Vereinte Linke (IU) sprach von einem Kämpfer, der sein »Leben für die Verteidigung des Kommunismus« eingesetzt habe. Der ehemalige IU-Chef Gaspar Llamazares erklärte, die Linke verliere nicht nur eine »große Persönlichkeit«, sondern auch ein Stück ihrer Geschichte »mit ihren Idealen und Fehlern«.
Zwar waren sich die IU und Carrillo in den letzten Jahren wieder näher gekommen, doch ganz konnten die Brücken nicht wieder aufgebaut werden. So kam man denn auch nicht umhin, die »politischen Differenzen« anzusprechen. Der strikte Versöhnungskurs, den Carrillo nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1976 eingeschlagen hatte und der eine Amnestie für die Verbrechen der Diktatur einschloss, denen viele Kommunisten zum Opfer gefallen waren, stieß in der Partei auf heftige Kritik. Nach einer Wahlniederlage 1982 wurde er zum Rücktritt als Generalsekretär gedrängt, 1985 gar aus der PCE ausgeschlossen. Der IU, die im Jahr darauf unter Führung der Kommunisten entstand, traute der ehemalige Journalist eine »Neuorientierung in Richtung Sozialisten und Sozialdemokraten« nicht zu.
Carrillo hatte gemeinsam mit Georges Marchais (FKP) und Enrico Berlinguer (IKP) Ende der 70er Jahre das Konzept des Eurokommunismus entwickelt, womit er sich vom sowjetischen Modell distanzierte und auch in der SED-Führung auf Ablehnung stieß.
In seinen letzten Jahren stellte er Spaniens verfassungsmäßige Ordnung zunehmend in Frage und trat für einen »zweiten Übergang« ein. Vor allem forderte er die Dezentralisierung des Landes: Gewalt und Unterdrückung von Unabhängigkeitsbestrebungen hätten »das Problem der Einheit nicht gelöst, sondern verstärkt«, schrieb er, »Katalonien, das Baskenland, Galicien und Gemeinschaften wie Andalusien sollten das Gewicht erhalten, das ihnen in der Vergangenheit im spanischen Staat verwehrt wurde.«
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