Louis Paul Boon: Mensch, nicht Vaterland

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 3 Min.

SCHEISS AUF EIN VATERLAND«, schrieb der flämische Schriftsteller Louis Paul Boon (1912-1979) in seinem 1947 zum ersten Mal erschienenen Buch »Mein kleiner Krieg«. »Ich bin ein Mensch, der sich nur ein bisschen Essen auf dem Tisch wünscht und ein paar Kohlen im Ofen, der sich die Wärme des Bettes wünscht und den Körper der Frau und die Augen des Kindes, der sich nicht als Nabel der Welt fühlt, sondern als Mensch unter den Menschen, der die Menschen lieb hat UND NICHT DIE VATERLÄNDER.«

Boon ist im Zweiten Weltkrieg Soldat gewesen, hatte kurz gegen die Deutschen gekämpft und war in Kriegsgefangenschaft geraten. Bereits während des Krieges nach Hause zurückgekehrt, beschreibt er in seinem aus kurzen Geschichten bestehenden Buch nüchtern und ohne Vorurteile die katastrophale Situation. Er erzählt von den Verbrechen der Deutschen. Von zwei Jungen, die verraten wurden. Und einem Zeitungsbericht, in dem stand, dass man sie aufhängte, »aber es stand nicht dabei, dass sie an ihren Füßen aufgehängt wurden BIS SIE STARBEN.«

Er erzählt von der Deportation Lea Lûbkas, die nach Mauthausen verschleppt wird, das Lager überlebt, aber dann doch an den Folgen der Haft stirbt. Aber er erzählt auch vom Bombenkrieg, der keinen Unterschied zwischen Tätern und Opfern macht. Er erzählt von Kollaborateuren, von Profiteuren des Krieges, von Wändehälsen und ganz ohne Pathos von kleinen Gesten der Menschlichkeit.

Sein Ich-Erzähler stellt sich als »einfacher« Schriftsteller vor. Wie sein Schöpfer Louis Paul Boon will er bloßer Chronist des Alltags sein. Deshalb steht in seinen Geschichten der einzelne Mensch im Vordergrund. Er ist es, der den »kleinen Krieg« auszuhalten hat. Durch ihn vermittelt der Erzähler seine Ethik, als positives, meist jedoch als negatives Beispiel. Mit einem unabhängigen, über die ethnischen und nationalen Grenzen hinweg gehenden Blick.

Der Ton der Erzählungen ist rau, provokant. So missfallen dem Erzähler die »großen« Schriftsteller, die während des Krieges oder danach zu Themen griffen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Die Nüchternheit und Illusionslosigkeit der Geschichten in »Mein kleiner Krieg« erinnert dabei an Georges Hyvernaud, den französische Schriftsteller, der in Deutschland vor ein paar Jahren mit seinen zwei Romanen »Der Viehwaggon« und »Haut und Knochen« wiederentdeckt wurde. Und natürlich denkt man an Louis-Ferdinand Célines 1932 erschienenen Roman »Reise ans Ende der Nacht«. Céline war der erste, der in der launischen Erzählhaltung des kleinen Mannes die Absurdität des Krieges beschrieb.

In Belgien und in den Niederlanden ist Louis Paul Boon einer der beliebtesten Schriftsteller nach dem Zweiten Weltkrieg. Er starb 1979. Wie schön, dass ihn der kleine Berliner Alexander Verlag für uns deutsche Leser wiederentdeckt hat.

Louis Paul Boon: Mein kleiner Krieg. Aus dem Niederländischen von Helmut Müller und Jan Vandenbroecke. Nachwort von Carol ter Haar. Alexander Verlag, 147 S., 14,90 €.

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