Das verschollene Tor

Das erste Bundesligator schoss ein Dortmunder gegen Bremen - zum 50. Jubiläum wird die Liga mit demselben Duell eröffnet

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Erinnerungen leben noch - mehr oder weniger. Der Bremer »Pico« Schütz weiß immerhin noch, dass es »ruck-zuck« gegangen ist. Und sein Mitspieler Max Lorenz glaubt, dass es »patsch-patsch« gemacht hat, als sich die Dortmunder Stürmer Lothar Emmerich und Reinhold Wosab über außen den Ball zupassten, ehe mittig ein gewisser Friedhelm »Timo« Konietzka nach eigener Aussage »nur den Fuß hinhalten« musste. So hat es der Schütze des ersten Bundesliga-Tores jedenfalls mal in einer Fernsehdokumentation erzählt. Unaufgeregt. So wie alle damaligen Protagonisten eigentlich nicht viel Aufhebens machen um diesen historischen Moment vom ersten Bundesliga-Spieltag am 24. August 1963, als sich der amtierende Meister Borussia Dortmund mit dem Eröffnungstor in den Annalen der neuen Eliteklasse verewigte.

Hans Tilkowski, Dortmunds durchaus stilprägender Torwart seiner Epoche, weiß noch, »dass uns das schnelle 1:0 nicht geholfen hat, am Ende haben wir uns wegen der 2:3-Niederlage sehr geärgert.« Bremen brachte durch Willi Soya, Schütz und Theo Klöckner drei Treffer gegen den späteren Vizeweltmeister Tilkowski an, ehe Konietzka in der Schlussminute noch einmal traf. Sachdienliche Hinweise zu diesem Ereignis kann der BVB-Torjäger selbst nicht mehr geben; er setzte im März diesen Jahres mit Hilfe einer Schweizer Sterbeorganisation seinem Leben ein Ende, als ein unheilbares Krebsleiden diagnostiziert worden war.

Weil sich die von den Marketingstrategen der Deutschen Fußball Liga (DFL) als Auftaktspiel der 50. Bundesliga-Saison auserkorene Begegnung zwischen Dortmund und Bremen (20.30 Uhr, live ARD) aus eben diesen Reminiszenzen speist, dürfen die alten Legenden im Rahmenprogramm nicht fehlen. Die heute 77-jährigen Schütz und Tilkowski sind auserkoren, um in der Eröffnungszeremonie mit Liga- und BVB-Präsident Reinhard Rauball die Meisterschale ins Stadion zu tragen. Die Zeitzeugen freuen sich vor allem auf die direkte Begegnung, »dem Hans werde ich noch mal sagen, dass er als Trainer ein harter Hund war«, verrät Schütz. Der Nationaltorwart war auf seiner ersten Trainerstation 1970 beim SV Werder gelandet, Tilkowski rechtfertigt sich rückblickend, weil er doch »die Pappenheimer und Gepflogenheiten« gut gekannt habe.

Professionell ausgeprägt waren schließlich die gewachsenen Kameradschaftsrituale bei Speis und Trank in der sogenannten dritten Halbzeit. »Und da war ja keiner, der in der Kneipe neben uns mit einem Handy saß«, erzählt Schütz schmunzelnd. Tilkowski ist auch deshalb nicht neidisch auf die Nachfolgegenerationen, obwohl er ob der heutigen Verdienstmöglichkeiten schon staune.

»Viele waren damals skeptisch, für den Profifußball den erlernten Beruf aufzugeben«, erinnert sich der gelernte Stahlbauschlosser Tilkowski. »Ich habe das ja auch gerne gemacht.« Schließlich waren die als Kohlenpott-Brasilianer bekannten Borussen im Premierenjahr auch auf internationaler Ebene tätig: Die Spiele im Europapokal der Landesmeister gegen Benfica Lissabon, Dukla Prag oder Inter Mailand nennt der Keeper »echte Höhepunkte«. In der Liga belegten die Schwarz-Gelben den vierten Platz, zwölf Punkte hinter dem Meister 1. FC Köln.

Von den Höhepunkten erfuhr der Konsument übrigens eher zufällig, wenn er nicht gerade im Stadion weilte. Nur je eine einzige Kamera stand in den Stadien, und unmöglich ließen sich alle wichtigen Szenen einfangen. Oft genug erhielten die Regisseure im Fernsehstudio eine Filmspule, auf der Tore fehlten. Am ersten Spieltag in Bremen war der Kameramann nach dem pünktlichen Anstoß um 17 Uhr schlicht zu spät dran. Aber es ist ja auch romantisch, wenn ein Tor von vor fast einem halben Jahrhundert bis heute nur nacherzählt werden kann.

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