Debakel in Konstanz

Warum die Grünen ihre Hochburg verloren

  • Holger Reile, Konstanz
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach 16 Jahren müssen die Grünen den Sessel des Konstanzer OB wieder räumen. In der baden-württembergischen Stadt war 1996 der erste grüne Oberbürgermeister Deutschlands gekürt worden.

So deutlich hatte man es dann doch nicht erwartet: Mit 39,1 Prozent wurde der Unternehmensberater und gelernte Förster Uli Burchardt am vergangenen Wochenende im zweiten Wahlgang zum neuen Konstanzer Oberbürgermeister gewählt. Nach exakt 32 Jahren stellt nun die Konstanzer CDU wieder das Oberhaupt in der größten Stadt am Bodensee. Hinter Burchardt, aber weit abgeschlagen mit 31,9 Prozent, kam Sabine Reiser, ebenfalls CDU, ins Ziel. Nach dem ersten Wahlgang hatte sie noch vorn gelegen. Nur Platz drei erreichte die grüne Spitzenkandidatin Sabine Seeliger. Damit müssen die Grünen nach 16 Jahren den OB-Sessel räumen, den Horst Frank 1996 gewonnen hatte und dadurch zum ersten grünen Oberbürgermeister Deutschlands gekürt wurde.

Vor allem für Sabine Seeliger war der Wahlausgang also eine große Enttäuschung. Sie hatte couragiert gekämpft und mit großer Sachkenntnis, vor allem in Verkehrsfragen, ihre Mitbewerber meist in den Schatten gestellt. Es reichte aber auch deswegen nicht, weil das grüne Klientel nicht geschlossen hinter ihr stand. Zum Vergleich: Bei seiner Wiederwahl 2004 hatte Horst Frank über 11 248 Stimmen erhalten, Seeliger diesmal nur 7621. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei nur 44,5 Prozent.

Zu radikal?

Erschwerend hinzu kam für Seelinger, dass die »Freie Grüne Liste« (FGL) - immerhin die größte Fraktion im Konstanzer Stadtparlament - eher konservativ ausgerichtet ist und einige Fraktionsmitglieder gegen die grüne OB-Kandidatin intrigierten. Das schlechte Verhältnis zwischen Horst Frank und seiner »Parteifreundin« trug auch nicht dazu bei, Seeligers Chancen zu verbessern. So konnte das nichts werden.

Um dieses Manko zu kompensieren, hatte sich Seeliger Stimmen aus dem SPD-Lager erhofft, da deren Kandidat Sven Zylla nach dem ersten Wahlgang mit nur 14,3 Prozent ausgeschieden war. Doch mehrere SPD-Gemeinderäte votierten offen für Sabine Reiser und so war auch diese Hoffnung für die grüne Spitzenfrau dahin. Dies geschah sehr zum Ärger von Baden-Württembergs Europaminister Peter Friedrich, der seine Konstanzer Genossen gebeten hatte, Seeliger zu unterstützen, schließlich habe man ja auch ein grün-rotes Bündnis im Ländle.

Uli Burchardt steht nun als der strahlende Sieger da. Zwar wählten ihn nur knapp 18 Prozent der Wahlberechtigten, aber für die geringe Wahlbeteiligung kann er nichts. Der CDU-Mann behauptete immer, völlig unabhängig zu sein und über die Parteien hinaus moderieren zu wollen. Smart und charmant trat er auf - und so spielte es auch keine Rolle, dass Burchardt während des Wahlkampfs inhaltlich sehr vage blieb.

Harte Zeiten

Burchardt plädierte bei all seinen Auftritten für nachhaltige Politik, ohne erklären zu können, was er damit eigentlich genau meint. Der Mann sei eben, so die »Stuttgarter Zeitung« in ihrer Wahlanalyse, »der neue schwarz-grüne Typus«. Sympathisch im Auftreten, unverbindlich in seinen Aussagen, dazu eine Prise Öko - das hat die Wähler überzeugt. Seeliger war ihnen offenbar zu dunkelgrün.

Die Frage wird nun sein, ob sich der kommunalpolitisch völlig unerfahrene Burchardt den Begehrlichkeiten seiner einflussreichen Unterstützer aus Handel und Wirtschaft erwehren kann und in der Lage ist, sich ein halbwegs unabhängiges Profil zu erarbeiten. Auf den neuen Konstanzer OB kommen harte Zeiten zu.

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