Geschenk oder Opfer?
7. Berlin Biennale: »Born in Berlin - A Letter to Rosa« von Joanna Rajkowska
Wasser plätschert, Joanna Rajkowska streichelt ihren runden Bauch. Sie steht unter der Dusche. Nackt ist sie auch in der nächsten Szene zu sehen, auf dem Dach eines Hauses, erst spazierend, dann in der Sonne liegend. Der Blick der Super-8-Kamera fällt auf das Charité-Hochhaus, in dem die Künstlerin ihr Kind zur Welt bringen will.
Der Film »Born in Berlin« läuft als Schleife im Kellergeschoss der Akademie der Künste am Pariser Platz, in der »Blackbox«. Unvermittelt wird der Betrachter mit der Szene konfrontiert, die gerade dran ist. Das kann auch die Geburt sein, bei der die Kamera minutenlang auf der der Vagina von Joanna Rajkowska verharrt, aus der sich ein kleiner Kopf schieben will. Einige Zuschauer wenden sich ab. Dammschnitt, Blut, wenig später ist das Baby da.
Kunst oder Anschauungsmaterial für den Biologieunterricht? Wenn es bei der Szene bliebe, wohl Letzteres. So einfach hat es sich Joanna Rajkowska aber nicht gemacht, wie die anderen Szenen zeigen. Erholt von den Anstrengungen der Geburt geht sie mit dem Säugling im Arm auf den Balkon, zeigt ihrer Tochter die Stadt. Am Ende des 20-minütigen Films vergraben Mutter, Vater und Kind die Plazenta vor dem Reichstag. Dann der Abspann, der Vorspann und die Vorgeschichte: Rajkowska kommt nach Berlin, bezieht eine Wohnung in der Rochstraße, besucht geschichtsträchtige Orte wie das Schwimmbad am Olympiastadion. Sie badet in einem schlammigen See, legt sich in ein Erdloch. Dabei ist die Hochschwangere fast immer nackt, die Kamera auf ihren Bauch gerichtet.
Außer per Video hat die polnische Künstlerin ihre Schwangerschaft und die Geburt ihres Kindes auch in Collagen verarbeitet, die zeitgleich unter dem Titel »A Letter to Rosa« in Berlin ausgestellt sind. Ohne den Film gesehen zu haben, muss es schwer sein, diese Bilder zu verstehen. Umgekehrt ist es fast unmöglich, überhaupt die Intention der Künstlerin zu erfassen, ohne das Begleitheft zu der Schau in der Galerie ZAK/BRANICKA zu lesen. An diesem zweiten Ausstellungsort sind 122 bearbeitete kleinformatige Einzelbilder des Films und Zeichnungen zu sehen, an Hand derer Rajkowska erzählt, wie sie sich mit dem Kind im Bauch gefühlt hat.
»Du sollst ein Geschenk für Berlin sein - für die Stadt aus der - zumindest für meine Familie - immer Vernichtung kam; ein Geschenk, das alles von einem bösen Zauber erlösen soll«, schreibt Rajkowska an Rosa, die am 21. Mai 2011 geboren wurde. Mit deren Namen will sie an ihre Großmutter Róża Stern und an Rosa Luxemburg erinnern. Doch wie kann ein Mensch ein Geschenk an eine Stadt sein? Die Erklärung der Künstlerin spricht vielmehr dafür, dass sie ihr Kind opfert, indem sie es instrumentalisiert. Sie überschreitet die Grenzen einer privaten Geste, eines Bekenntnisses zu Berlin. Sie konfrontiert ihr (ungeborenes) Kind mit einer Vergangenheit, unter der sie selbst leidet - die aber für das Kind vermutlich weniger schmerzhaft sein wird, wenn nicht gar zu fern - wie es schon heute Jugendliche empfinden, die sich mit dem Nationalsozialismus befassen. Dabei erhofft sich die Galerie ZAK/BRANICKA, mit der Ausstellung einen öffentlichen Diskurs über Migration zu fördern.
Der Geburtsort prägt einen Menschen und es ist mehr als verständlich, wenn Eltern sich genau überlegen, wo ihr Kind zur Welt kommt. Doch ebenso muss dem späteren Erwachsenen zugestanden sein, sich von diesem Ort zu distanzieren. Rajkowska, im polnischen Bydgoszcz geboren, lebt und arbeitet in Warschau, London und in Berlin. Aber Rosa hat sie ein ganz bestimmtes Verhältnis zu Berlin eingepflanzt.
Rajkowska filmt weiter - auch bei der Ausstellungseröffnung. Sie stellt nicht nur ihre Collagen aus, sondern gleichsam ihr krankes Kind - im Abspann des Films wird erwähnt, dass bei Rosa Tumore in beiden Augen diagnostiziert wurden -, einen Menschen, der sich nicht dagegen wehren kann, weil er von ihr abhängig ist, wie sie in »A Letter to Rosa« beklagt. Als hätte Rajkowska ein rein künstlerisches, objektiviertes Verhältnis zu ihrer Tochter, will es scheinen.
Die 7. Berlin Biennale, in deren Rahmen diese Videoinstallation gezeigt wird, gilt vor allem politisch eingreifender Kunst. Aber Joanna Rajkowska hat nicht allein ein politisches Statement abgegeben (»Eine der Attraktionen Berlins sind die Verbrechen der Vergangenheit, das Grauen der deutschen Seele«), kundgetan hat sie wohl auch eigene ambivalente Gefühle gegenüber dieser Stadt - mit einem Kind als Material.
Born in Berlin - A Letter to Rosa. Galerie ZAK/BRANICKA, Lindenstr. 35, Berlin. Bis 16. Juni, Di-So, 11-18 Uhr. Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Berlin. Bis 1. Juli, Di-So, 11-20 Uhr.
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