In Bewegung sein, um Menschen zu begeistern
NRW-Landessprecherin Katharina Schwabedissen und ihre Diagnose zur LINKEN
nd: Sie sind gelernte Krankenschwester. Die LINKE muss auf die Intensivstation. Wie sind die Überlebenschancen?
Schwabedissen: Wenn man Krankheiten rechtzeitig erkennt, sind sie meist heilbar.
Wenn die Gesamtkonstitution nicht schon zu schlecht ist. Wie lautet Ihre Diagnose?
Die Partei ist noch jung, gerade fünf Jahre alt. Sie muss wachsen, es wird Zeit, dass wir den Parteiaufbau voranbringen. Da ist viel liegengeblieben zwischen all den Wahlkämpfen. Und es gab zu viele persönliche Auseinandersetzungen. Dennoch: Wir haben gute Politik gemacht, auch in NRW, die richtigen Themen gesetzt ...
Nur die Wähler haben sie nicht verstanden? Sind die nicht klug genug für die LINKE? Oder waren es mal wieder die bösen Medien?
Zwei Mal nein. Linke Parteien gewinnen nicht über die Medien. Und: Natürlich sind nicht die Wählerinnen und Wähler schuld. Wir hätten ihnen besser erklären müssen, dass wir Druck gemacht haben im und vor dem Parlament, damit SPD und Grüne sich in die richtige Richtung bewegen. Doch auch Menschen, die das anerkennen, sagten uns: Jetzt wählen wir SPD und Grüne, damit die eine klare Mehrheit haben im Land. Ich kann nachvollziehen, dass Menschen gerade in Zeiten, da neue Krisen heraufziehen, ein Bedürfnis nach Stabilität haben.
Dafür steht die LINKE offenbar nicht, jedenfalls nicht im Westen. NRW ist die Herzkammer der Sozialdemokratie, da haben viele Menschen gehofft, dass die SPD endlich wieder eine sozialdemokratische Partei ist. Dem ist nicht so. Ab heute werden alle rot-grünen Spar- und Kürzungspläne aus den Schubladen geholt und verabschiedet.
Kommt die LINKE nicht auch etwas verstaubt daher? Intelligent, frisch, frei geht anders...
So? In Nordrhein-Westfalen sind wir jedenfalls genau das: intelligent, frisch, frei - und sehr weiblich. Ich glaube, wir brauchen einfach noch Zeit für einen soliden Parteiaufbau. Es mangelt an der Verankerung vor Ort. Beispielsweise meine Generation, die zwischen 30 und 50 Jahren, fehlt fast völlig in unseren Reihen. Und das Problem können wir nur über eine solide, ehrliche kommunale Verankerung lösen. Die Linke hat früher davon gelebt, dass sie in Stadtvereinen und Kleingartenkolonien - im Viertel - verankert war ... Wenn wir da nicht ankommen, wird auch das Projekt der LINKEN nicht gelingen.
Die Gesamtpartei ist da nicht sehr hilfreich?
Ich hätte mir an vielen, vielen Stellen eine andere Form der politischen Auseinandersetzung gewünscht, auch dass der Parteivorstand viel, viel mehr die Idee eines linken Projektes vorantreibt, damit klarer wird: Wir sind die Partei mit der Vision für eine bessere Gesellschaft. Immer mehr Menschen lehnen das übliche Konstrukt von Parteien ab oder stehen ihm zumindest skeptisch gegenüber.
Ich finde es zusätzlich schwierig, wenn man statt dessen die laufende Personaldiskussion auf die Vorsitzende und den Vorsitzenden fokussiert. Im Vorstand sind 44 Menschen, die haben alle eine Verantwortung. Da ist einiges schräg gelaufen in den vergangenen zwei Jahren. Wenn man die Zeitung aufschlug, konnte man lesen, was der über die und die über den gesagt hat. Es könnte wahrlich solidarischer zugehen.
Hätte es Ihnen geholfen, wenn Lafontaine seine Absichten vor den Wahlen erklärt hätte?
Nein.
Die LINKE als ein lebendiges, lernendes Projekt - das ist etwas ganz anderes, als das derzeit zu vernehmende Hörnerstoßen alter Männer.
Das heißt ja nicht, dass sich das nicht ändern kann. Die Bereitschaft zu akzeptieren, dass nur wichtige Männer den Weg der Partei bestimmen, nimmt ab. Wir wollen nicht so sein, wie all die anderen Parteien. Wir wollen nicht sein wie die SPD, nicht wie die SED, nicht wie die PDS und auch nicht wie die WASG. Unsere Partei muss in Bewegung sein, sich aufmachen, um Menschen zu begeistern. Ich glaube, in den kommenden Wochen und beim Parteitag wird sich viel entscheiden.
Klaus Ernst verkaufte der Presse gerade die Idee einer »kooperativen Führung«. Muss nicht jeder, der sich den Vorsitz zutraut, mit jedem anderen »können«?
Im Prinzip stimmt das. Es gibt aber Verletzungen und Auseinandersetzungen, die so hart gewesen sind, dass Zusammenarbeit schwierig ist.
Und deshalb suchen jetzt »Kreise« für zwei Führungsmänner die jeweils kompatible Vorstandsfrau. Demokratische Entscheidungen sehen anders aus. Geht es nicht auch ohne die Männer?
Klar.
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