Moderne Galeerensklaven
»Work Hard - Play Hard« von Carmen Losmann
Manchmal sieht die Hölle einfach nur schön bunt aus, geradezu gemütlich. So wie die Arbeitswelt heute, jedenfalls dort, wo man nicht eigentlich mehr produktive Arbeit verrichtet, sondern nur noch Erfolgsversprechen verkauft. Auch diese resultieren aus dem »Fetischcharakter der Ware«, den Marx analysierte.
Immerhin war es bei Goethe im frühkapitalistischen Finale des »Faust 2« Mephisto selbst, der Faust in seinem Todestraum - »Ein Sumpf zieht am Gebirge hin« - erfolgreich suggerierte, er werde bald auf freiem Grund mit freiem Volk stehn. Ein Trugbild, denn während dessen schaufelten bereits die Lemuren sein Grab. Einen solchen Totentanz zeigt uns auch Carmen Losmann - am ehesten mit Richard Wagners »Nibelheim« im »Rheingold« zu vergleichen, dieser unterirdische Urzelle kapitalistischer Produktion. Jedoch produziert wird hier nichts mehr, es raucht und dröhnt nicht mehr, aber Geld wird trotzdem verdient - mehr denn je. Womit, was wird jetzt produziert? Es ist eine geschwätzige Ödnis, die sich hier ausbreitet. Wir betreten die Welt der Verkäufer ihrer selbst, des »human capitals«. Das erinnert uns an Homunculus, an die Utopie eines idealen Dienstleisters, eines künstlichen Menschen. Nein, wir brauchen dazu keine Roboter, man kann auch Menschen jeden Widerspruch abgewöhnen.
Die heimlichen Herren der Welt sind heute die Unternehmensberater, eine moderne Pest. Ihr Menschenbild ist das von einem emphatischen Funktionsteil der Kapitalverwertungsmaschine. Wer zweifelt, nicht bedingungslos mitspielt, wer sich auch nur einen eigenen Ton erlaubt oder ironisch wird, etwa die Augenbrauen hochzieht und vor der Macht der neuen Inquisitoren der Verkaufsoptimierung nicht anbetend auf den Knien liegt, wird aussortiert. Die Entfremdung scheint überall dort zu sein, wo man Karriere machen will. Wer ausgebeutet werden soll, muss sich zuerst freudig selbst ausbeuten wollen.
So scheinen selbst jene in einem Unternehmen, die es ein Stück auf der Treppe nach oben in der Hierarchie geschafft haben, die ehrgeizigen Jungmanager, von einschlägigen Berater- und Coachingfirmen »trainiert« zu werden wie »moderne Galeerensklaven« (so ein unparteiischer Beobachter). »McKinsey kommt!«, dieser von Rolf Hochhuth zum Signum eines eiskalten Übernahmezeitalters erhobene Ruf, glaubt nicht mehr an Hilfe, nicht an Erbarmen, er ist das Signal für das Nahen eines unvermeidlichen Unheils.
Auf den ersten Blick: eine saubere Welt, in der man vom passenden Ambiente spricht - aber dann wird klar: der Schmutz ist nun nicht mehr außen, sondern innen. Darum geht es in »Work Hard - Play Hard«. Wir blicken, völlig unkommentiert, neunzig Minuten in die triste Welt von Macht und Unterwerfung, auf das scham- und würdelose Tun dieser Optimierer im Dienste des Wertgesetzes. Wer es irgendwie überstanden hat, mit Verstellung und Unterwerfungsgesten, der ist beschädigt. Er misstraut jedem. Das ist der Kern der rituell beschworenen »Teamfähigkeit«: nur die Starken haben einen Platz. Aber wer ist das denn an diesen Maßstäben gemessen? Der Rücksichtsloseste, der Dreistete und Verlogenste? Zugleich erstaunt die Einfalt, die echte oder vorgetäuschte Naivität auf beiden Seiten. Es scheint wie ein degenerierter Kindergarten. Sind das etwa die neuen Eliten?
Interessant, zu sehen, wie das im Detail jedes Mal abläuft, obwohl es so ein wahnsinnig hohles - und geistentleertes - Prozedere ist. Verbildete Menschen, totale Entfremdung spielen ihre kleinen Macht- und Verdrängungsspiele - und das in den Führungsetagen jener Unternehmen, wo am meisten Geld verdient wird.
Man spricht hier auch eine eigene künstliche Sprache, passend zur vollkommen abgeleiteten Welt ohne echte Maßstäbe: Assessment-Management beim Optimieren der Human Ressource, so heißt das. Immer mehr Management-Firmen - aber sie wissen nicht, was sie tun! Da ist von »non-territorialem Office Space« die Rede, von »multimobilen Knowledge-Workern«. Carmen Losmann zeigt uns diese »Berater« bei ihrer »Arbeit«. Da sitzen sie Mitarbeitern jener Firmen gegenüber, die sie zur »Personaloptimierung« engagiert haben, und befragen sie - immer nach demselben Muster. Man denkt, man hat es mit einer gefährlichen Sekte zu tun. Die Berater interessiert nicht, wer welche Erfahrungen oder welches spezielles Wissen hat, wer welche Krisen und Hindernisse an seinem Platz schon überstanden hat - und diese vielleicht sogar produktiv gemacht hat. Man kennt die Menschen gar nicht, über die man hier zu Gericht sitzt - und das ist so gewollt. Man wartet, was sie antworten werden, nimmt dann die Antworten und versucht sie mit diesen in die Ecke zu treiben.
Am Ende entsteht auf diese Weise ein Bild vom »talentierten« oder »untalentierten« Mitarbeiter. Gestandene Persönlichkeiten mit Erfahrung und Erfolg, die nicht viele Worte über ihre Leistungen machen, sind sofort verdächtig. Nein, es werden Schwätzer und verbale Schaumschläger gesucht, im Grunde läuft hier das immer gleiche Rollenspiel ab. Eine »Beraterin« sagt, sie bewerte die Motivation der Mitarbeiter auf einer Skala von eins bis fünf. Wer nur sagt, er mache hier seine Arbeit, der bekommt einen Punkt. Wer sagt, er versuche sie gut und gewissenhaft zu machen, bekommt zwei. Mit solchen Punktzahlen ist man draußen. Da ist mehr an Schauspielkunst verlangt, um rettende drei bis fünf Punkte zu bekommen. Heiße Liebeserklärungen an das Unternehmen sind das Mindeste. Denen, die in der Welt der »Human Ressource« überleben wollen, lernen schnell die richtigen Antworten zu geben. Woran erinnert das?
Wir sind mitten drin in Huxleys »Schöne neue Welt«, oder auch in Orwells »1984« - die Kontrolle über Hirne und Nerven scheint fast schon total geworden zu sein. Franz Fühmann schrieb am Ende seines Lebens »Saiänsfiktschen«, lauter negative Utopien, die sich wie Variationen auf Kafkas Strafkolonie lesen. Sie seien, so notierte er, »Schlusspunkte, im Bereich gestockter Widersprüche, wo Stagnation als Triebkraft auftritt«. Gemeint war eine andere Endzeit, die er so schmerzhaft durchlebte - aber an sein Resümee denke ich bei »Work Hard - Play Hard«. Es lautet: »Der Schlaf der Vernunft, sagt Goya, gebäre Ungeheuer; das Stocken des Widerspruchs treibt Monstren heraus.«
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