Es war einmal ...

FRANZ FÜHMANN: »Vom Moritz, der kein Schmutzkind mehr sein wollte«

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 3 Min.

Märchen beginnen mit »Es war einmal ...« Dieses ganz besonders. Denn Franz Fühmanns kleine Helden leben in einem Land, das es nicht mehr gibt. Er hat es für Kinder in der DDR geschrieben, Ende der 50er Jahre, vielleicht für seine Tochter Barbara. Die im DDR-Kinderbuchverlag erstmals erschienene Geschichte vom »Moritz, der kein Schmutzkind mehr sein wollte« gehörte zu meinen Kindheits-Schmöker-erlebnissen. In der Neuauflage habe ich »mein« Buch von damals sofort wiedererkannt: vom ersten bis zum letzten Satz, vom Cover bis hin zu all den anderen fantasievollen Illustrationen von Inge Friebel.

Moritz wohnt im Kinderheim in der Berliner Lasdehner Straße. Er lebt dort zusammen mit Frau Pipermann und Kindern, die wie er nur am Wochenende von ihren Eltern nach Hause geholt werden. Das Kinderheim ist wohl ein Wochenkindergarten, wie sie in den Anfangsjahren der DDR eingerichtet wurden, damit die Eltern unbesorgt ihrer Arbeit nachgehen konnten. Fühmann hat aus dem Kinderheimalltag ein Märchen gemacht. Er hat ihn verkleidet, Glitzer, Glamour und Abenteuer in ihn hineingezaubert. Weil er sich und den Kindern diesen Alltag so wünschte.

Eines Tages ist Moritz, der sich nicht waschen, kämmen und die Zähne putzen mag, »Pionier vom Dienst«. Da schellt ein König an der Tür - ein richtiger König, mit Krone und goldenem Gewand. Einfach so, im Sozialismus! Er bittet die Kinder, seine einzige Tochter, die von einer bösen Hexe verwunschene Prinzessin Rosenblatt, zu erlösen. Für diese Aufgabe ausgewählt werden Bärbel, Claus und - Moritz. Die drei brechen auf ins Märchenland, das an einem Baum beginnt, an dem Bananen (!) wachsen; dort müssen sie sich drei Aufgaben stellen. Für Moritz sind diese Aufgaben besonders schwer, denn zum Beispiel wollen sich von seinen Schmutzhänden keine Blumen, sondern nur Disteln und Brennnesseln pflücken lassen. Als Moritz der Schmutzhexe in deren Reich folgt, aus dem es kein Entkommen mehr gibt, sind es die Kinder und Frau Pipermann aus der Lasdehner Straße, die ihm zu Hilfe eilen und die Prinzessin doch noch erlösen. Klar, dass Wasser und Kamm fortan zu Moritz' Freunden gehören und die Prinzessin viel lieber im Kinderheim als allein im Königsschloss leben möchte.

Wenn der Verlag meint, bei dieser Neuauflage anmerken zu müssen, dass die »sogenannten Pioniere« eine staatliche Kinderorganisation waren und diejenigen, die nicht eintraten, mit »starken Behinderunge« zu rechnen hatten - geschenkt. Auch ein halbes Jahrhundert nach seinem ersten Erscheinen wird Fühmanns Märchen Kinder erfreuen. Und gegen Kinder, die freundlich, lustig, hilfsbereit sind, ist auch heute nichts einzuwenden.

Franz Fühmann: Vom Moritz, der kein Schmutzkind mehr sein wollte. Bilder v. Inge Friebel. Hinstorff. 40 S., geb., 14,99 €.

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