Warten auf die Kündigung

Die Angestellten des insolventen Drogeriekonzerns Schlecker sind verunsichert: Jedem Zweiten droht die Entlassung

  • Gesa von Leesen und Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 6 Min.
Bei der Pleite-Drogeriekette Schlecker geht die Angst um. Jede zweite Filiale soll demnächst schließen. Wie es weitergeht, weiß derzeit niemand. Weder bei der Gewerkschaft noch vor Ort in den Filialen.
Schnappschuss in einer Berliner Schlecker-Filiale
Schnappschuss in einer Berliner Schlecker-Filiale

»Wir haben so lange und hart gekämpft und auch viel erreicht - dass uns das jetzt um die Ohren fliegen soll, ist schwer zu ertragen«, sagt Vasiliki Singh, Betriebsratsvorsitzende von Schlecker im Bezirk Stuttgart. Ununterbrochen klingelt bei ihr das Telefon. Viele Kolleginnen fragen, welche Filialen geschlossen werden, ob sie mit ihrer Entlassung rechnen müssen. »Aber wir wissen ja nichts Konkretes«, erklärt die 43-jährige griechischstämmige Deutsche. Singh ist für etwa 140 Schlecker-Beschäftigte in 31 Läden zuständig. Dass einige dieser Schlecker-Filialen bei etwa 20 000 Euro Umsatz im Monat liegen, weiß sie. Und dass das nicht reicht, wissen alle bei Schlecker. Nicht erst seit dem Insolvenzantrag Ende Januar.

Angelika Seiler, Betriebsratschefin im Bezirk Ludwigsburg, erzählt: »Wir haben ja jeden Monat die Umsatzlisten unserer Filialen bekommen. In den vergangenen Monaten ist der Umsatz rapide zurückgegangen. Kein Wunder, wenn man keine Ware hat.«

Keine Ware und keine Kunden

Wochenlang war Schlecker von einigen Lieferanten nicht versorgt worden, weil man ihnen das Geld schuldig blieb. »Wenn ein Kunde ein- oder zweimal seine Zigarettenmarke nicht bekommt, dann ist er weg. Das dauert, bis sich herumgesprochen hat, dass Schlecker wieder alles hat«, erläutert Seiler. Zumal das Angebot in vielen Filialen immer noch ausgedünnt ist. In den Berliner Schlecker-Läden gibt es sogar Engpässe bei den Zahnbürsten. »Ich bestelle die Bürsten jede Woche wieder, doch der Lieferant stellt sich stur. Offenbar schulden wir dem noch Geld«, mutmaßt der Angestellte eines Geschäftes Berlin-Neukölln. Noch schlimmer steht es um die Schlecker-Tochter Ihr Platz. Die Regale in den Berliner Filialen sind halb leer. »Dabei ist es schon besser geworden«, entschuldigt sich eine Kassiererin. »Zeitweise gab es hier nicht einmal Klopapier.« Sie hofft, dass die ausbleibende Ware kein Zeichen dafür ist, dass der Insolvenzverwalter die Drogerie-Kette mit der stilisierten Kamille im Logo bereits aufgegeben hat. »Wir gehören ja noch nicht solange zu Schlecker, vielleicht entlassen sie uns dann schneller«, fürchtet die Angestellte. Ihr Platz wurde erst im Jahre 2007 von Schlecker übernommen. Am vergangenen Freitag ließ der zuständige Insolvenzverwalter durchblicken, dass 142 der 612 Filialen schließen sollen. Damit fällt der Jobabbau beim Tochterunternehmen offenbar weit weniger drastisch aus als beim Mutterkonzern.

Hingegen droht bei Schlecker ein Kahlschlag: Die Hälfte aller Filialen muss schließen. Insgesamt 11 750 Angestellte müssen gehen. Bislang weiß vor Ort noch niemand, welche Filialen es treffen wird. Fakt ist: Schlecker betreibt viele Läden an schwierigen Standorten, also in kleinen Städten und in den Problemvierteln der Großstädte, wie etwa in Berlin-Neukölln. »Die meisten unserer Kunden haben kaum Geld, viele sind auf Hartz IV«, erzählt der Angestellte einer Filiale am Kottbusser Damm. Bald könnte auch er dazuzählen. »Bislang hat uns noch niemand gesagt, ob der Laden weiter besteht oder dicht macht. Aber was will man machen«, meint er etwas resignierend. Im Falle einer Entlassung könnte er von einer Transfergesellschaft aufgefangen werden. So will es zumindest Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz. Die Gesellschaft soll die Freigesetzten qualifizieren und in neue Arbeit vermitteln. Finanziert wird so etwas üblicherweise durch das Transferkurzarbeitergeld, das die Arbeitsagentur zahlt. Hinzu kommt ein Zuschuss des Insolvenzverwalters.

Transfergesellschaft soll Entlassene auffangen

Wer in eine Transfergesellschaft geht, gilt nicht als arbeitslos. Sollte dort die Vermittlung in einen neue Stelle nicht klappen, landen die Betroffenen erst später im Arbeitslosengeld. Bislang wurden Transfergesellschaften vor allem in der Metallindustrie bei größeren Entlassungen genutzt. »Im Einzelhandel hat da kaum jemand Erfahrung«, sagt Christina Frank. Sie ist bei ver.di Stuttgart zuständig für Schlecker. Auch sie hält die Transfergesellschaft als kurzfristige Auffanglösung für notwendig. Doch offenbar fehlen dem Insolvenzverwalter dafür 70 Millionen Euro, wie Spiegel Online erfahren haben will. »Da muss die Politik einspringen«, fordert Frank. Baden-Württemberg ist hier besonders besonders in der Pflicht, denn der Stammsitz von Schlecker ist in Ehingen bei Ulm. Finanzminister Nils Schmid (SPD) hatte bereits kurz nach Bekanntgabe der Schlecker-Insolvenz eine Landesbürgschaft ins Spiel gebracht. Allerdings sei zunächst ein tragfähiges Weiterführungskonzept für das marode Unternehmen notwendig, forderte Schmid.

Das kann sich Gewerkschaftssekretärin Frank mit einem genossenschaftlichen Modell vorstellen. Derzeit laufen die Verhandlungen zwischen dem Insolvenzverwalter und ver.di, bei denen es auch darum geht, welche Opfer die Beschäftigten möglicherweise von ihren Tarifleistungen bringen sollen, um Schlecker fortführen zu können. »Diese Opfer, zum Beispiel Weihnachts- oder Urlaubsgeld, könnten doch in ein Beteiligungsmodell fließen«, schlägt Frank vor. Die Vision: Das, was stets als Nachteil vieler Schleckerfilialen gesehen wird, nämlich die vielen kleinen Läden, könnte zum Vorteil genutzt werden. »In der wohnortnahen Versorgung sehe ich eine Chance für Schlecker. Das ist eine Lücke. Und wenn man das genossenschaftlich organisieren könnte, wäre das auch ein Pluspunkt fürs Image«, so Frank. Sie hätten sich bereits einen Tag lang vom Genossenschaftsverband beraten lassen. Frank: »Der hat die Idee sehr positiv gesehen und würde uns auch unentgeltlich beraten.«

Bei ver.di in Berlin weiß man dazu nichts Näheres. »Es wird über alles diskutiert«, so Sprecherin Christiane Scheller. Für die Gewerkschaft ist die Schlecker-Pleite extrem belastend. Nicht nur, weil so viele Mitglieder betroffen sind, sondern weil es ausgerechnet solche trifft, die einen jahrelangen harten Kampf für Tarifbindung geführt haben. Die Gefahr, dass nun Beschäftigte in anderen Unternehmen sagen: »Da sieht man, was rauskommt, wenn man sich für Tarife engagiert - nämlich die Pleite«, sieht Scheller nicht. Es sei ja wohl klar, dass die Pleite von Schlecker nichts mit dem Tarif zu tun hat, sondern mit dem Missmanagement von Anton Schlecker. »Der hat Schlecker geführt wie eine Frittenbude«, so die Stuttgarter ver.di-Sekretärin Frank.

Die Schlecker-Frauen indes warten auf Klarheit. Was passiert mit ihrer Filiale und mit ihnen selbst? »Wie auch immer, wir werden kämpfen«, zeigt sich Vasiliki Singh überzeugt. »Die Politik muss uns helfen. Die können uns doch nicht ignorieren. Im Moment aber fühlen wir Frauen uns allein gelassen.« Zwar haben schon mehrere Landesarbeitsagenturen behauptet, Verkäuferinnen würden vom »Arbeitsmarkt gut aufgenommen«. Doch Frank kennt die Praxis im Einzelhandel. Während eine Schlecker-Verkäuferin durch den Tarif etwa 15 Euro pro Stunde verdient, »zahlen viele im Einzelhandel nur 8 oder 8,50 Euro«, weiß Frank. Wie sollen die Schlecker-Frauen, von denen viele Alleinerziehend oder Alleinverdiener sind, davon leben können?

Viele Verkäuferinnen sind ohne Ausbildung

Erschwerend hinzu kommt, dass die meisten Schlecker-Verkäuferinnen nur angelernt sind. »Die können zwar ihren Job perfekt, aber ein Ausbildungszeugnis haben sie eben nicht«, unterstreicht Frank. Dies würde die Arbeitssuche erschweren. Außerdem liege das Durchschnittsalter der Schlecker-Frauen zwischen 45 und 50 Jahren. Dass diese Altersgruppe auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade heiß umworben ist, dürfte bekannt sein. Ein Blick in die Jobbörse der Arbeitsagentur zeigt: Es werden in der Tat massenhaft Verkäuferinnen gesucht. Vor allem in Ostdeutschland bietet die Arbeitsagentur Verkäuferinnenjobs bei Leiharbeitsfirmen an. Die traurige Alternative dazu wären Teilzeit- und 400-Euro-Jobs, die sich massenhaft in der Datenbank finden. Vasiliki Singh aus Stuttgart ätzt: »Wir können ja dann mit drei 400-Euro-Jobs unsere Kinder versorgen.«

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