Barcode für das eigene Leben

Tobias Sommer:

  • Matthias Kröner
  • Lesedauer: 2 Min.

Ich werde aus dieser Absteige ein Hotel machen, meine Gäste beobachten und ihre Geschichten auf meinem Arm tätowieren, bis ich den Barcode für mein Leben habe.« Schon der Klappentext ist starke Literatur. Tobias Sommer, mit 18 (!) Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet und Finalteilnehmer des renommierten Christine-Lavant-Preises, legt mit »Dritte Haut« einen beachtlichen Debütroman vor. Weshalb der norddeutsche Autor den Umweg nach Österreich nehmen musste, zeigt das alte Dilemma deutscher Publikumsverlage: Kühne Unterfangen werden seltener, Turbokapitalismus und Kunst finden nur noch zufällig zueinander.

Von vorne: Sommers Kunstroman dreht sich um einen geistig und emotional benachteiligten Ich-Erzähler, der im Rahmen eines Sozialprojektes die Führung eines heruntergekommenen Hotels nahe der polnischen Grenze übernommen hat. »Ich musste zufrieden sein, endlich besaß ich eine Aufgabe […]. Man ist jedoch noch dankbarer, wenn man einen Plan hat.« Im Fortlauf der Handlung mieten sich eine osteuropäische Prostituierte, eine Lebensraumkünstlerin, ein russischer Bierbrauer und eine Terroristin aus dem Baskenland in dieses »vernachlässigte Beiboot einer Jacht« ein. Und da gibt es noch einen Jungen, eine Halluzination des Erzählers, die an den passenden und unpassenden Stellen in die teilweise glänzenden Dialoge der Figuren eingreift.

Fazit: Sommer ist ein gutes Stück Außenseiterliteratur gelungen, eine Identitätssuche, nicht so radikalbrutal wie die Prosa Bukowskis, dafür mit expressionistischen Zügen und bisweilen genial-sarkastisch. Am stärksten ist der Bad Segeberger Schriftsteller, wenn er die Einzelschicksale seiner Protagonisten ineinander verwebt und mit fiktiven Zeitungsartikeln und Wohnungsgesuchen aufmischt. Am schwächsten, wenn er jeden Satz zu einem Kunstwerk stilisieren will, zumal die Anzahl der finalen Sätze ohnehin groß ist. »Wenn das Leben in einer Abseitsfalle verankert ist«, philosophiert beispielsweise der Erzähler, »spürt man Schüsse aus dem Hinterhalt sofort«. Auch dieses Buch ist so ein Schuss: aus dem Hinterhalt.

Tobias Sommer: Dritte Haut. Septime Verlag. 153 S., geb., 16,40 €.

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